Die Joghurt-Luege
es von der korrekten Bezeichnung ab, ob die eingesetzten Stoffe frei verwendbar und zugelassen sind. Der Begriff »Extrakt« allein sagt beispielsweise nichts darüber aus, welche Inhaltsstoffe in welcher Menge angereichert wurden. Von der Art der Anreicherung hängt aber die rechtliche Einstufung ab: Aromaextrakte sind frei verwendbar; ein Extrakt, angereichert mit pharmakologisch wirksamen Stoffen, ist dagegen zulassungspflichtig. Oft ist auch die Werbung wissenschaftlichen Erkenntnissen um Meilen voraus. Bei Beteuerungen wie »Aloe vera stärkt das Immunsystem« klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Ein Bier mit erhöhtem Gehalt an Xanthohumol, einem Flavonoid, das im Hopfen enthalten ist, wird angepriesen mit »Xan-Bier wirkt antioxidativ«. Auch häufen sich unerlaubte, weil krankheitsbezogene Werbeslogans: Ob Nonisaft (ein Saft aus der Indischen Maulbeere, für den laut Scientific Committee on Food der Europäischen Kommission |75| keine Erkenntnisse über die positiven Wirkungen vorliegen), der Krebsgefahr und Herzinfarktrisiko senken soll, Apfelbeerennektar, ein Mittel gegen »die aggressiven krebsauslösenden, allgegenwärtigen Umweltgifte« oder Molkedrinks, die Entzündungen in Schach halten sollen – nicht rechtens sind alle diese Versprechungen. 40
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Hauptsache, das Image ist gesund
Ungeachtet der landesweiten Wirtschaftsflaute verzeichnet der Markt für Functional Food seit Jahren zweistellige Wachstumsraten. Die Zahlen sprechen für sich. Insgesamt 2,5 Milliarden Euro Umsatz allein in Deutschland und ein prognostiziertes Wachstum von mindestens 10 Prozent verheißen der Functional-Food-Branche rosige Aussichten.
Wie wichtig Functional Food beispielsweise für den weltgrößten Nahrungsmittelkonzern Nestlé ist, zeigte im Jahr 2002 das vehemente Interesse des Schweizer Konzerns, der im Jahr 2001 einen Rekordgewinn von umgerechnet 4,5 Milliarden Euro erzielte, an der Health Food & Slimming und Sports Nutrition des Basler Pharmakonzerns Novartis. Das Interesse des Giganten an Nahrungsmitteln, die durch Erhöhung, Zufuhr oder Entfernung bestimmter Substanzen den menschlichen Stoffwechsel medikamentenähnlich beeinflussen, könnte Schule machen. Die Delphi-Studie 2002 sieht allein in Deutschland eine Verdoppelung des Marktanteils von Functional Food von derzeit 2 auf über 4 Prozent im Jahr 2011. 41
Eine besondere Finesse im Gesetzeswerk entpuppt sich dabei als Wachstumsmotor eigener Art. Da jedes Functional-Food-Mittel als Lebensmittel verkauft wird und deshalb nicht den strengen Vorschriften des Arzneimittelrechts unterliegt, ist der Hersteller automatisch vom Wirkungsnachweis entbunden. Jahrelange kostenintensive klinische Studien nach den Standards der pharmazeutischen Industrie sind überflüssig – und fehlen.
Damit nicht genug. Seit der Neugestaltung des Lebensmittelbedarfsgesetzes, Juristen seit dem 21. Februar 2002 unter der Nummer |76| 178/2002 bekannt, gilt alles, was aufgenommen wird, als Lebensmittel. Die Definition hat es in sich, denn Lebensmittel bedürfen generell keiner Zulassung, um ins Supermarktregal zu gelangen. Und das, obwohl sie zum Teil Wirkstoffe enthalten, die wie Isoflavone vehement in die Biochemiefabrik des menschlichen Organismus eingreifen.
»In Europa gibt es derzeit keine anerkannte rechtliche Definition für Functional Food, und für deren Zulassung besteht bislang keine spezifische regulative Richtlinie«, beschreiben auch Industrieforscher wie Elke Trautwein, Privatdozentin am Unilever Nutrition Center im Niederländischen Vlaardingen die Lage. 42
Der Verbraucher sieht sich als Folge der soften Regeln mit einer Vielzahl von Produkten konfrontiert, die allesamt eines gemeinsam haben – sie versprechen Gesundheit ohne Verzicht:
So bewirbt in den USA ein Hersteller seine »Quaker Oats« mit Segen der Zulassungsbehörde Federal Food and Drug Agency (FDA). Die Haferkleie senke nachweislich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, heißt es dort.
Ebenfalls amerikanisch ist die Art, Männer mit lycopinhaltigem Ketchup der Traditionsfirma Heinz vor Prostatakrebs schützen zu wollen.
Nestlé setzt selbst nahezu ein Jahrzehnt nach der Produkteinführung immer noch auf seinen Renner LC1 und erinnert den Verbraucher, dass die Kulturen im probiotischen Joghurt, täglich verzehrt, »vor unerwünschten Bakterien schützen«.
Den Segen der angesehenen American Heart Association hat der US-Riegel »Heart Bar«. In jeder Drogerie frei
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