Die Joghurt-Luege
Auswirkungen der Produkte werden oft bewusst unter Verschluss gehalten. Wer dennoch publizieren möchte, gerät unter Druck, wie Spiegel Online bereits im Jahr 2002 aufdeckte:
Beispiel WHO: Als die Weltgesundheitsorganisation WHO gemeinsam mit der Welternährungsorganisation FAO einen Entwurf zum weltweiten Problem der Übergewichtigkeit vorlegen wollte, bekam der verantwortliche US-Repräsentant und Gesundheitsminister Tommy Thompson nach Informationen des Nachrichtenmagazins |79| »einen freundlichen Brief von der Lebensmittelindustrie«. Darin, konstatierte Spiegel online, wurde der Politiker »darauf aufmerksam gemacht, dass es genug Studien gebe, die eine Verbindung zwischen dem Konsum von Softdrinks und Fettleibigkeit widerlegten«. Ob Zufall oder nicht: Die WHO-Studie wies bei Erscheinen auf die dramatische Situation hin – verzichtete jedoch auf politische Empfehlungen, die der Industrie hätten schaden können. 47
Während die PR-Maschinerie den Sinneswandel der Hersteller suggeriert, setzt die Industrie Milliardenbeträge ein, um sich die Klientel der Zukunft zu sichern.
Beispiel Sponsoring: Viele Konzerne haben Exklusiv-Verträge mit Schulen abgeschlossen. Die Schule verpflichtet sich, nur die Produkte eines bestimmten Anbieters zu verkaufen, und bekommt dafür Geld oder Sachleistungen vom Konzern. Jede zehnte Schule in den USA beispielsweise unterhält Exklusivverträge mit dem Getränkehersteller PepsiCo – eigens dazu aufgestellte Automaten liefern den Kindern das, was dem Konzern satte Gewinne beschert: Softdrinks und Pepsi in allen Variationen. 48
Wie Marketingstrategen alte Produkte mit neuen Slogans versehen in Europa als »gesunde« Lebensmittel bewerben, hat die Auseinandersetzung um die »kleinen Steaks« zu Bewusstsein geführt. Zu den Tricks der Branche 49 gehört es nämlich, die weniger guten Bestandteile der Produkte schönzureden – oder totzuschweigen. Dabei wird immer eine juristisch unangreifbare Form gewählt. So erfuhren Verbraucher im Jahr 2005, dass die bei Kindern beliebten Fruchtzwerge der Firma Danone »ohne Kristallzucker« und »mit der Süße aus Früchten« schmecken. Letztere erklärt Danone als »Traubenfruchtsüße«.
Nach Ansicht des österreichischen Vereins für Konsumenteninformation (VKI) eine klare Form von irreführender Werbung. Der Hersteller täusche eine »gesunde« Süße vor, die es biochemisch betrachtet gar nicht gibt. In der Tat: Ob herkömmlicher Haushaltszucker oder Fruchtzucker, beide Formen sind Energieschwergewichte und erhöhen zwangsläufig die Menge an zugeführter Energie sowie, |80| je nach konsumierter Menge, das Körpergewicht. Auch in puncto Kariesbildung steht Fruchtzucker dem gemeinen Haushaltszucker nicht im Mindesten nach. Zucker bleibt Zucker, nur die Aufnahmegeschwindigkeit ins Blut ist je nach Art unterschiedlich.
Die Verbraucherschutzorganisation im Alpenland reagierte und erhob im Auftrag des österreichischen Bundesministeriums für Konsumentenschutz gegen Danone Klage.
Danone selbst weist den Vorwurf der irreführenden Werbung zurück. Man würde lediglich die neue Rezeptur, bei der 8 Prozent weniger Kohlenhydrate zu Buche schlügen, bewerben. Dem VKI reichen diese Argumente nicht. Denn: Für die Mehrheit der Eltern haftet die in großen Lettern gehaltene Aufschrift »ohne Kristallzucker« als vermeintlich besonders gesundes Charakteristikum des Produkts im Gedächtnis. Sie werden kaufen, weil sie vertrauen. 50
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|81| Kapitel 3
Zusatzstoffe
Die Werkzeuge der Milliardenmacher
Jahrhunderte hindurch waren Speisen gekennzeichnet durch Verfügbarkeit, Natürlichkeit und Einfachheit. Es kam auf den Tisch, was die Saison und der Geldbeutel hergaben, vorrangiges Ziel war es, satt zu werden. Mit dem Beginn der Industrialisierung, als die Dampfmaschine viele Fertigungsprozesse revolutionierte, veränderte sich auch das grundlegende Bild von Landwirtschaft und Ernährung: Die Produktivität im Agrarbereich stieg, die Vieh- und Milchwirtschaft expandierte und versorgte zunehmend andere Wirtschaftszweige mit Rohstoffen. Fabriken für die Herstellung von Suppennahrung, Teigwaren, Schokolade, Käse, Milchpulver und Kondensmilch schossen wie Pilze aus dem Boden, Ernährungsgewohnheiten und Geschmackspräferenzen änderten sich, und die Haushalte gaben immer weniger Geld für Nahrungsmittel aus. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschlang der Kauf von Lebensmitteln noch die Hälfte des Einkommens, 1950 lag dieser
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