Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Todes.«
»So wird unsere Welt in der Bibel beschrieben.«
»Unsere Welt, wie sie im Geiste gesehen wird«, korrigierte ihn der Mönch. Er stand auf. »Wir sprechen morgen wieder miteinander.«
Jussef schaute zu, wie der alte Mann sich langsam in die innere Kammer der Höhle begab. Er legte sich zurück und schloss die Augen.
* * *
Der Mensch hat menschliche und spirituelle Augen.
Erstere schauen und schauen, sehen aber nur die Menschenwelt. Letztere schauen und
nehmen
die spirituelle Welt
wahr
. Viele, die auf Erden wandeln, schlafen in spiritueller Hinsicht. Doch wenn der Atem Gottes ihnen über die spirituellen Augen haucht, wachen sie auf – das spirituelle Kind ist nicht tot, sondern schläft. Und bald werden das menschliche und das spirituelle Element sich vereinigen auf einem Hochzeitsfest, zu dem sie einen geheimnisvollen Gast eingeladen haben. Doch die Menschen haben vergessen, dass der Wein der spirituellen Weisheit ausgegangen ist. Was hat den Geist so betäubt, dass er in einen Zustand der Fühllosigkeit geriet?
Kaum war Jussef in der Höhle eingeschlafen, begann er zu träumen. Er saß in einem Boot; einem Boot, das mitten auf einem großen Meer trieb. Das Boot war sein Geist, das Meer die Welt. Zunächst trieb er idyllisch auf ruhigem Wasser, doch während er in seinem menschlichen Körper alterte, wurden die Wellen höher. Stürme erhoben sich – das Wasser war sowohl außerhalb als auch innerhalb des Boots. Das heißt, das Böse vermochte den Geist zu peinigen, innerlich wie äußerlich. Weil er fürchtete, sein Geist könnte ertrinken, rief Jussef voll Verzweiflung den Himmel an: »Rette mich!« Dadurch erkannte er, dass er nicht allein im Boot war; ein anderer war dort – einer, der das Wasser zu beruhigen vermochte. Auf dessen Befehl hin ließ der Sturm nach. Aber wohin war dieser geheimnisvolle Fremde gegangen? Als Jussef seine Seele suchte, fand er sie weder in der menschlichen noch in der spirituellen Welt – weder im Wasser noch im Boot. Stattdessen wandelte seine Seele auf den Wassern der Welt. Angstvoll stieg Jussef aus dem Boot.
Auf den Wassern der Welt wandeln.
Dafür brauchte Jussef einen Führer. In der menschlichen Welt hatte er Josua getragen. In der spirituellen Welt würde Josua ihn tragen; und der wiederum wurde von einem geführt, der größer war – um die Reise von der menschlichen in die spirituelle Welt und dann in die göttliche zu machen. Während sein Traum tiefer wurde, hatte Jussef das Gefühl, als schicke Josua – wo immer er auch war – ihm Botschaften. Und auf den Wassern der Welt wandeln hieß, die Dinge im spirituellen Zustand zu betrachten. Aber diese Wasser waren tückisch; besaß ein Mensch keinen Glauben an Gott, dann konnte er leicht in den Fluten versinken. Es war die Kraft des Göttlichen, die ihn stützte, denn in der spirituellen Welt war der Geist so unerfahren wie ein Lamm unter Löwen. Aber das Lamm würde siegen. Der Löwe würde sich zum Lamm legen.
Wie sah die Welt aus, wenn man sie durch spirituelle Augen betrachtete? Sie war so vollkommen anders, dass die Sprache nicht reichte, sie zu beschreiben. Denn schließlich war die Sprache das Produkt des menschlichen Gehirns – eines Gehirns, das endlos nach vernunftgemäßen Erklärungen suchte, in dem Versuch, einer vergänglichen Welt einen Sinn zu verleihen. Doch eine solche Übung bewirkte immer das Gegenteil des Gewünschten, denn die äußere Welt verändert sich so schnell wie der Sand, der vom Meer gesiebt wird. So auch das Gehirn. Umgeben vom Medium des Wassers, glichen die Gedanken der Menschen dem Sand. Deshalb war die Welt des Menschen nicht von Dauer, und so konnte der Mensch, von seiner Warte aus, nichts mit Gewissheit und Endgültigkeit schlussfolgern.
Die spirituelle Welt war aber nicht im Hirn beheimatet, sondern im Herzen, und die Intuitionen des Herzens waren nicht dasselbe wie Gedanken. Die einzige Möglichkeit, wie das Herz dem Hirn dabei helfen konnte, dieser seltsamen Welt einen Sinn abzugewinnen, war die Verwendung von Symbolen. Dennoch mussten diese Symbole während des spirituellen Fortschreitens abgelegt werden. Auf einer bestimmten Etappe der Reise ins Reich Gottes wurden die Lichter der Ratio und der Intuition gelöscht. Die Seele wandelte im Dunkel, geleitet von der geheimnisvollen Hand eines Fremden, den sie nicht kannte, der aber ihr Schöpfer war.
In seinem Traum sah Jussef die menschliche Welt, doch es kam ihm vor, als wandele er über ihr. Er
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