Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
diese Leute konnten sich ändern, das heißt, Rom konnte sich ändern und sich ihrer Auffassung anschließen. Aber wer sagte denn, wann dieses in zahlreichen Gebeten herbeigesehnte Ereignis stattfinden würde? Konnte sich die italienische Kirche wandeln? Oh, keinesfalls! Das russische Sandwich hatte die richtige Zusammensetzung, es war der wahre Glaube. Da war man sich ganz sicher.
Trotzdem gab der russische Patriarch dann doch seine skeptische Haltung auf, und es gelang ihm, seine Brüder davon zu überzeugen, sich ihm anzuschließen. Ein Grund war: Russland war zerbrochen. Sein Land rang nicht nur mit Hungersnot und Bürgerkrieg, sondern die Epidemie hatte sich ausgebreitet. Die Hälfte der Bevölkerung war tot, und die Priester fielen um wie Kegel. Vielleicht trug die Angst vor dem Tod zum Sinneswandel des Patriarchen bei. Aber da war mehr. Der Achtzigjährige schlief eigentlich immer gut. Doch jetzt wachte er jede Nacht um drei Uhr auf. In einem traumähnlichen Zustand sah er ein Kind, das am Fenster in seinem Zimmer stand. Er hatte den Jungen schon einmal gesehen: in den Armen einer Bäuerin, die beim letzten Treffen im Petersdom neben dem Papst stand. Was bedeutete das? Johannes XXVI . hatte den Kirchenfürsten mitgeteilt, dieses Kind sei der größte lebende Heilige Italiens. Damals weigerte sich der Patriarch, das zu glauben. Er war empört – derlei Dinge waren doch nur Gott bekannt. Gleichwohl erschien ihm dieser Bote Gottes jede Nacht. Aber wie konnte das sein, wenn dieses Kind
kein
Heiliger war. Und wenn dieses Kind tatsächlich ein Heiliger war, war dem Patriarchen und seinen Brüdern dann etwas entgangen? Etwas, das mit Demut zu tun hatte?
Der Patriarch erörterte die Frage mit seinen hochrangigen Glaubensbrüdern. Nicht, dass er Dinge sah – er setzte stets seine Zweistärkenbrille auf, wenn er den Besucher musterte. Nicht, dass der Teufel ihn betrog – er begrüßte seinen Besucher stets mit Worten der Teufelsaustreibung und jeder Beschwörungsformel, die ihm einfiel. Außerdem sagte das Kind nichts. Es sprach das Gewissen des Patriarchen an und nicht seinen Verstand. Schließlich gelangten er und seine Glaubensbrüder zu einem Entschluss. Eine Handlung, die wahrer Demut entsprang, konnte nicht böse sein. Und diese Handlung könnte die große Seuche, wie sie sie nannten, stoppen. Also wurde folgende Ankündigung gemacht: Seine Kirche würde sich mit Rom vereinigen. Das hielt zwar die Seuche in Russland nicht auf, machte es jedoch möglich, dass eine unsichtbare spirituelle Narbe heilte. Denn während das Böse sich auf der Welt ausbreitete, ermöglichte es einer anderen Kraft, sich zu erheben und sich ihm entgegenzustellen.
Kurz danach gab die griechisch-orthodoxe Kirche eine gesonderte, aber ähnliche Bekanntmachung heraus. Auch dort sah sich das Land einer Katastrophe gegenüber. Im Angesicht des Fiaskos wurde entschieden, sich in Demut zu üben. Dieser Entschluss wurde noch dadurch gefördert, dass dem Metropoliten auf geheimnisvolle Weise ein Kind erschien.
* * *
»Das ist von historischer Bedeutung. Absolut außergewöhnlich.«
»Ganz recht«, pflichtete Kardinal Rienzi bei.
»Unsere und die orthodoxe Kirche vereinigen sich nach tausend Jahren. Glauben Sie, der Papst hat das mit dem Satz gemeint, dass der heilige Petrus wieder zusammen mit dem heilige Paulus wandeln werde?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Rienzi. »Aber eines ist klar: Wir haben die Pflicht, diesem Mysterium auf den Grund zu gehen. Sie haben uns doch gesagt, dass die meisten Judas-Münzen in den Armen des heiligen Petrus liegen, in seinem Grab.«
Sein Mitverschwörer, der Mailänder Kardinal, ein betagter und blasser Akademiker, errötete. Er hatte neun Jahre zuvor am Geheimtreffen mit dem Papst im Turm der Winde teilgenommen und bereute jetzt, dass er Rienzi und den anderen davon erzählt hatte. Er hatte die vertrauliche Information des Papstes weitergegeben und nun Sorge, dass nichts Gutes dabei herauskommen würde.
»Ja.«
Die fünf verschwörerischen Kardinäle saßen in Rienzis Arbeitszimmer im Vatikan. Es war Nacht, das Licht im Raum schummrig – nicht absichtlich, sondern weil auch dem Vatikan wie ganz Rom langsam der Strom ausging.
»Ich glaube Ihnen«, antwortete Rienzi. »Aber ich möchte es bestätigt wissen. Wir sollten das Grab des heiligen Petrus öffnen.«
»Aber der Papst geht doch immer dorthin! Ihm würde sofort auffallen, dass das Grab geöffnet worden ist.«
Rienzi schüttelte den
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