Die Juedin von Toledo
Erwartung.
Sie erwachte aus ihrem Geträume und hörte wieder das Geschwatz ihrer lieben, dummen alten Amme Sa’ad und der geschäftigen Fátima. Die Frauen liefen ab und zu, aus der Badekammer ins Schlafzimmer und zurück, und konnten sich nicht zurechtfinden in den neuen Räumen. Es lächerte Raquel, sie wurde kindisch und albern.
Sie richtete sich auf. Sah an sich herunter. Dieses nackte, blaßbräunliche Mädchen, das dastand, überrieselt von Wasser, war also keine Rechja mehr, sondern Doña Raquel Ibn Esra. Und lachend und ungestüm fragte sie die Alte: »Bin ich nun anders? Siehst du, daß ich anders bin? Sag schnell!« Und da die Alte nicht gleich verstand, drängte sie, immer lachend und herrisch: »Ich bin doch jetzt eine Kastilierin, eine Toledanerin, eine Jüdin!« Die Amme Sa’ad, bestürzt, plapperte mit ihrer hohen Stimme: »Lade doch keine Schuld auf dich,Rechja, mein Augapfel, mein Töchterchen, du Rechtgläubige. Du glaubst doch an den Propheten.« Raquel, lächelnd und besinnlich, erwiderte: »Beim Bart des Propheten, Amme: Ich weiß nicht genau, wie weit ich hier in Toledo an den Propheten glaube.« Die Alte, tief erschreckt, wich zurück: »Allah behüte deine Zunge, Rechja, meine Tochter«, sagte sie. »Solche Scherze solltest du nicht machen.« Raquel aber sagte: »Wirst du mich gleich Raquel nennen! Wirst du mich endlich Raquel nennen!« Und: »Raquel! Raquel!« rief sie. »Sags nach!« Und sie ließ sich zurückfallen ins Wasser, daß es die Alte überspritzte.
Als Jehuda sich in der Königsburg meldete, empfing ihn Don Alfonso sogleich. »Nun also«, fragte er mit trockener Höflichkeit, »was hast du erreicht, mein Escrivano?«
Jehuda erstattete Bericht. Seine Repositarii, seine Rechtskundigen, waren dabei, die Listen der Steuern und Abgaben zu revidieren und zu ergänzen; er werde in wenigen Wochen genaue Ziffern vorlegen. Einhundertunddreißig Sachverständige waren ins Land gerufen, zumeist aus moslemischen Gebieten, aber auch aus der Provence, aus Italien, ja, selbst aus Engelland, die Landwirtschaft, den Bergbau, das Gewerbe, das Straßennetz zu verbessern. Jehuda führte Einzelheiten an, Ziffern; er sprach frei, aus dem Gedächtnis.
Der König schien nur lässig zuzuhören. Als indes Jehuda zu Ende war, meinte er: »War nicht einmal von neuen, großen Gestüten die Rede, die du mir anlegen wolltest? Davon habe ich in deinem Vortrag nichts gehört. Auch stelltest du in Aussicht, du würdest Goldschmiedewerkstätten errichten, so daß meine Münze Gold würde prägen können. Hast du in dieser Richtung etwas unternommen?«
Jehuda hatte in seinen zahlreichen Memoranden ein einziges Mal die Verbesserung der Pferdezucht, ein einziges Mal die Errichtung von Goldschmiedewerkstätten erwähnt. Er wunderte sich über Don Alfonsos gutes Gedächtnis. »Mit Gottes und mit deiner Hilfe, Herr König«, antwortete er,»wird es vielleicht möglich sein, in hundert Monaten nachzuholen, was in hundert Jahren verabsäumt worden ist. Was in diesen drei Monaten hingestellt wurde, scheint mir kein schlechter Anfang.«
»Es ist einiges geschehen«, gab der König zu. »Aber ich bin nicht geschickt in der Kunst des Wartens. Ich sag es dir offen, Don Jehuda, der Schaden, den du mir bereitest, scheint mir größer als der Nutzen. Vorher haben meine Barone, wenn auch widerwillig und mit Vorbehalt, Beisteuern für Kriegszwecke bezahlt; das waren, berichtet man mir, die Haupteinkünfte meines Schatzes. Jetzt, da du mein Escrivano bist, berufen sie sich auf den langen Frieden, der vor uns gähnt, und zahlen nichts mehr.«
Daß der König das Erreichte so danklos hinnahm und ihm weithergeholte Vorwürfe machte, verdroß Jehuda. Er bedauerte, daß Doña Leonor nach Burgos zurückgekehrt war; ihre helle, heitere Gegenwart hätte das Gespräch freundlicher gewendet. Aber er schluckte den Unmut hinunter und erwiderte mit ehrerbietiger Ironie: »Darin gleichen deine Granden deinen nichtprivilegierten Untertanen. Wenn es ans Zahlen geht, suchen sie alle nach Ausflucht. Aber die Argumente deiner Barone sind brüchig, und meine geübten Repositarii können sie mit guten Gründen widerlegen. Ich werde dich bald in aller Demut bitten, einen Mahnbrief an deine Ricoshombres zu unterzeichnen, der sich auf diese Gründe stützt.«
Sosehr die Unverschämtheit und der Stolz seiner Granden den König erbitterten, es ärgerte ihn, daß der Jude ohne Achtung von ihnen sprach. Es ärgerte ihn, daß er den Juden brauchte. Er
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