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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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gespitzten Ohren und aufmerksamer, neugieriger Wichtigtuerei. Die Mutter schaut unerwartet auf; ihre Blicke treffen sich aus unmittelbarer Nähe. Sie sehen sich an, wie sich Menschen zum ersten oder zum letzten Mal ansehen. In den Augen der Mutter blitzt pures Entsetzen auf, ihre erloschenen Augen –zwei kleine Notleuchten –beginnen zu glühen. Sie zieht die Hände schützend vor die Brust. Der Einarmige setzt sich zurück auf seinen Platz und stützt den Kopf in die offene Hand, wie einer, der entschlossen ist, sich nicht von der Stelle zu rühren, bevor er etwas erreicht hat.
    Das Mädchen kommt herein und räumt den Tisch ab. Die Mutter will ihr Instruktionen geben, versucht mühsam, sich aufzusetzen und etwas zu sagen, ihre Augen folgen dem Mädchen mit unverhohlener Sorge, doch der Einarmige legt mit mahnender Gebärde den Finger auf die Lippen. Die Mutter zittert wieder, ihre Zähne schlagen aufeinander.
    Als das Mädchen hinausgegangen ist, zieht er den Stuhl ans Bett heran, beugt sich ganz nah zur Mutter hin, sagt leise und ruhig: »Mutter, du mußt das Geld hergeben.«
    Seine Stimme hatte nichts Strenges oder Bedrohliches, aber die Mutter macht mit ohnmächtiger Miene sofort die Augen zu. Von Zeit zu Zeit sieht sie auf, doch der ruhige, trotzige und ausdauernde Blick des Sohnes läßt sie die Augen gleich wieder schließen. Lange verharren sie so, regungslos, das Zittern der Mutter legt sich, gelegentlich überzeugt sie sich, durch einen schmalen Augenschlitz schielend, daß Lajos noch die Stellung hält. Die Zeit vergeht unendlich langsam, die Mutter rafft mit einer Hand ihr Nachthemd über der Brust zusammen, liegt mit geschlossenen Augen, sieht und hört nichts. Sie weiß, daß alles keinen Zweck mehr hat: Doch bevor sie aufgibt, macht sie sich steif wie ein Käfer, der sich totstellt, wenn er sich bedroht fühlt. Der Einarmige zieht seinen Stuhl noch näher heran, stützt sich am Bettrand ab und macht es sich bequemer.
     
    ~
     
    Ábel hat im Arabesque übernachtet. Am Fenster sind keine Vorhänge, so ist er früh aufgewacht. Vor dem Fenster enthüllen und entfalten sich, frisch wie ein rundliches Mädchen mit trägen Gliedern, die Berge und der Wald im warmen Morgen. In Hemdsärmeln setzt er sich ans Fenster und hält sein Gesicht in die Sonne. Auf nüchternen Magen kann einen die Morgensonne trunken machen. Er hat tief geschlafen und erinnert sich in diesem Augenblick an überhaupt nichts. Ein so heftiges Glücksgefühl durchdringt ihn, daß er sich nicht zu bewegen wagt; er fürchtet, das Entzücken könne sich verflüchtigen, wenn er sich rührt.
    Um zehn muß er in der Stadt sein. Im Hof des Gymnasiums soll das Gruppenbild aufgenommen werden, das in der Galerie neben den Gruppenbildern der Väter Platz finden wird. Er zieht sich an, das Haus ist leer, der Pächter hängt im Hof die Lampions auf. Ziellos geht Ábel im Zimmer auf und ab, mitten durch die angesammelten Gegenstände. Lauter Mist, langweiliger Kram. Er gibt dem Globus mit dem Finger einen Stoß und wartet, bis die Kugel wieder zur Ruhe kommt. Setzt den Finger auf Afrika. Großer Gott, denkt er, Afrika. Was tut es schon, daß der Schauspieler Tibor geküßt hat.
    In der Nacht ist er nicht nach Hause gegangen. Als sie sich vor dem Theater getrennt hatten, machte er zur Täuschung ein paar Schritte heimwärts, drehte dann aber um und schlug den Weg zum Arabesque ein. Ein Stück ist er gerannt, damit er schneller aus der Stadt hinauskam; erst am Flußnahm er das Tempo zurück, die Nacht war hell und warm. Er hat überhaupt nicht in Betracht gezogen heimzugehen. Vielleicht, dachte er zerstreut, gehe ich gar nicht mehr nach Hause. Jetzt kommt irgend etwas anderes als das, was bisher war, Etelka, der Vater, die Professoren, Tibor und der Schauspieler, vielleicht etwas viel Einfacheres, Angenehmeres, man kann ja alles besprechen. Dann wieder meinte er, daß dies doch nur ein feiger Trost sei. Die Baulichkeiten des Arabesque leuchteten schneeweiß im Mondschein, unwirklich und bildartig. Leise schlich er ins Zimmer hinauf, der Geruch von Rum und der abgestandene Mief würgten ihn. Er öffnete das Fenster und warf sich aufs Bett, schlief auch sofort ein. Der Schauspieler kam mit nacktem Oberkörper und verrutschter Perücke auf ihn zu, Tibors Kopf fiel nach hinten, Ábel zerrte am Arm des Schauspielers und schrie: »Es hat abgekühlt. Die Nacht ist sternklar.« Der Traum zerrann, und er schlief tief und regungslos.
    Jetzt macht er sich auf den

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