Die jungen Rebellen
konntest du mich nicht ermahnen und mir keinen Mantel andienen. Warum tust du es jetzt?«
Er steht auf, legt die Hand auf den Rücken, wie das die Prockauers im allgemeinen zu tun pflegen, und läuft, gefolgt vom eingeschüchterten Blick der Mutter, im Zimmer auf und ab. Früher hatte Lajos, wie sein Vater, die Angewohnheit, beide Hände hinter dem Rücken zu verschränken und die gefalteten Finger knacken zu lassen. Das kann er jetzt nicht mehr, denkt sie mit Nachsicht. Ängstlich sieht sie zu, die Disziplin ist verlorengegangen. Die Buben geben Widerworte. Sie können jeden Augenblick aufbegehren, zu ihr hintreten, sie sanft, ohne Gewaltanwendung, einfach von ihrem Lager hochheben und irgendwo absetzen, sich über die Matratzen und Kissen hermachen und vor ihren Augen alles an sich raffen, das Silber, den Schmuck und das Geld, die zwei können triumphierend die Wohnung plündern und ihr, wenn sie um Hilfe ruft, vielleicht noch mit einem Tuch den Mund zubinden. Irgend etwas ist passiert, sie hat die Macht über ihre Söhne verloren. Ihr Mitleid heischender Blick streift über die in Bildern festgehaltenen Stationen von Prockauers Militärkarriere. Im Grunde war es mit Prockauer einfacher. Sie weiß, daß das Leben in den unvorhersehbaren Augenblicken kaputtgeht, dann, wenn der Mensch etwas verschweigt, feige ist und zuläßt, daß die Ereignisse Gestalt annehmen. Vielleicht hätte sie Prockauer raten sollen, nicht an die Front zu gehen. Als hoher Militär hätte er vielleicht den Krieg verhindern können.
In dem länglich geschnittenen Zimmer, das vollgestopft ist mit überflüssigen Möbeln, haftet an jedem Gegenstand dieser säuerliche, unsaubere Geruch, der oft in Krankenzimmern und Wohnungen von vereinsamten und verwahrlosten Menschen vorherrscht. In diesem Zimmer, wo die Mutter liegt, mußten sie die Mahlzeiten einnehmen. Einmal hat sie im Zirkus eine Frau gesehen, die mit zwei Wölfen auftrat, im Abendkleid und mit einer Peitsche in der Hand, sie arbeitete ganz stumm, konnte die Bestien nur mit ihren Blicken im Zaum halten. Sie glaubt, sie müsse nur den Blick der Buben einfangen, um die Ordnung wiederherzustellen. Doch die beiden weichen ihren Blicken aus. Die Verbindung ist unterbrochen. Sie hat keine Macht mehr über sie. Wenn sie in ihr Zimmer kommen, schweigen sie. Sie weiß, daß dieses Schweigen gefährlich ist.
Die Knaben schweigen schon seit Monaten. Ihr sonderbares Wegbleiben weiß sie nicht zu deuten, sie haben sie in ihre Kümmernisse nicht eingeweiht, brüten gewiß etwas aus. Vielleicht haben sie auch schon einen fertigen Plan und warten nur auf die passende Gelegenheit; jeden Moment können sie rebellieren, haben vielleicht sogar Komplizen, das Dienstmädchen oder sonstwen. Möglicherweise sind sie entschlossen, auf ein bestimmtes Zeichen vor sie hinzutreten, ihren abgemagerten Körper mit kräftigen Armen hochzuheben, vielleicht hebt Tibor sie hoch, und Lajos durchsucht die Matratzen. Am Bargeld, das sie auf dem Leib trägt, würden sie sich vielleicht doch nicht zu vergreifen wagen, geht es ihr durch den Kopf. Sie faltet die Hände, fürchtet sich immer mehr und beginnt zu zittern.
Sie setzt sich auf und schiebt das Kissen unter sich zu zurecht. »Geht hinaus«, sagt sie. »Ich will euch Geld geben. Geht jetzt.«
Der Einarmige zuckt die Achseln, winkt Tibor, und sie gehen in ihr Zimmer hinüber. Die Mutter horcht gespannt und drückt beide Hände an ihre Brust. Jetzt lauschen sie bestimmt, denkt sie. Vielleicht spähen sie auch herein. Zum Glück hat sie ihr Bett so aufstellen lassen, daß man es durchs Schlüsselloch nicht sehen kann. Wenn sie ihnen Geld geben mußte, hat sie sie jedesmal aus dem Zimmer geschickt. Sie preßt die Hände auf die Brust und denkt, daß es sonderbar ist, was aus einem Gefühl am Ende werden kann.
Sie denkt an den Augenblick, da sie Tibor empfangen hat, im achten Jahr ihrer Ehe, nachdem sie einander mehrere Monate aus dem Weg gegangen waren: Prockauer
kam eines Nachmittags vom Exerzierplatz heim, in Reitstiefeln, staubig, Reitgerte und Handschuhe in der Hand, blieb in der Mitte des Zimmers stehen, seine Stirn glänzte vor Schweiß, er warf die Offiziersmütze auf den Tisch. Sie waren allein im Zimmer. Der kleine Lajos spielte im Garten. Seit Monaten hatten sie kaum miteinander gesprochen. Prockauer schlief auf einem Diwan im Eßzimmer, sie mit dem Kleinen im Schlafzimmer, im Doppelbett. Diese Trennung hatte keinen direkten Anlaßgehabt. Längst brauchten sie
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