Die jungen Rebellen
Weg in die Stadt. In dem festlichen dunklen Anzug ist ihm warm. Werg hängt aus seiner Tasche, er zieht die Perücke hervor, blickt sich um, ob ihn niemand sieht, und wirft sie weg. Der Skalp liegt wie ein zertretenes zottiges Tier am Straßenrand. Er hebt die Perücke mit der Schuhspitze an und tritt kräftig hinein. Wer einmal diese Haare getragen hat, denkt er jetzt, der ist in diesem Augenblick gestorben. Am Zaun der Besserungsanstalt geht er eilig vorbei, seinen Hut hat er in der Nacht irgendwo vergessen. Die Luft ist rein und trägt fernes Glockenläuten heran.
Der Tageslauf muß geplant werden: Freitag, achtzehnter Mai. Zuerst der Photograph. Danach mit Tibor reden. Um zwei Uhr Havas. Vielleicht schaut er zwischendurch bei der Tante vorbei. Am Abend kommen sie wieder ins Arabesque hinaus. Doch all das interessiert ihn nicht besonders, er bleibt stehen, sieht sich um und denkt flüchtig, daß er vielleicht ins Arabesque zurückgehen, dort bis zum Abend warten sollte. Und dann: Mit Tibor muß ich sprechen. Er beschleunigt seine Schritte.
Die Äste der Obstbäume hängen über den Zaun. Die Blüten hat der Regen am Vortag heruntergeschlagen. Er geht am Schwimmbad vorüber, die Weiden neigen sich tief ins Wasser, auf der Brücke bleibt er stehen und betrachtet den angeschwollenen Fluß mit den schlammig gelben Fluten, diesen Spielkameraden seiner Kindheit. Der herbe Geruch des Wassers steigt ihm in die Nase.
Über die Brücke kommt der Richter Kikinday, den der Mandarin zum Tode verurteilt hat.
Ábel beugt sich über das Geländer. Von Rechts wegen müßte Kikinday längst tot sein, denn vor drei Jahren hat der Mandarin das Todesurteil über ihn gesprochen, da dies die einfachste Lösung war. Kikinday hat in seinem Leben andere Menschen zum Tode verurteilt, sieben wurden dann auch gehenkt, als letzter ein Zigeuner, und Kikinday hat ihrer Hinrichtung beigewohnt.
Der Mandarin ist Ábels ältester Bekannter, seine persönliche Entdeckung, unter seinen mythischen Figuren diejenige, die nicht aus der Welt der Märchen stammt, sondern Ábels Erfindung ist. Vielleicht hat einmal jemand darüber gesprochen, was passieren würde, wenn im fernen China ein Mandarin auf einen Knopf drückt … Als Ábels Verhältnis zur Stadt feindselig zu werden begann, besorgte er sich irgendwo eine abmontierte Klingel, und wenn ihm seine Feinde lästig wurden, drückte er auf den Klingelknopf und richtete die Gegner hin. Hatte zum Beispiel einer gelogen, und er kam dahinter, so mußte das Opfer vernichtet werden. Im Verlauf von drei kurzen Jahren waren auf diese Weise vier Menschen hinzurichten, an dreien wurde das Urteil auch vollstreckt. Der erste war Szikár, Fachlehrer für Zoologie, der Tibor in der Fünften geohrfeigt hat. Der zweite, Domdechant Lingen, spähte ihnen im Jägergarten nach. Der dritte, Fiala, sein Klassenkamerad in der Sechsten, verriet ein Geheimnis, das Ábel ihm anvertraut hatte. Der vierte, besagter Kikinday, war ein Freund des Obersten Prockauer, der, als er sie einmal im Wirtshaus antraf, der Clique drohte, den Vater brieflich über ihre Umtriebe zu informieren.
Der Mandarin ist Ábels persönliches Geheimnis, über das er mit niemandem gesprochen und in das er auch die Clique nicht eingeweiht hat. Dieser Mandarin lebt irgendwo in China, in einem mit gelber Seide tapezierten Zimmer, hat lange, spitze Fingernägel und einen halbmeterlangen Zopf; auf dem Lacktischchen vor ihm steht der Apparat, er braucht den Knopf daran nur mit dem langen Fingernagel zu berühren, und schon ist es irgendwo auf der Welt um einen Menschen geschehen. Der Mandarin ist weder gut noch böse, dient, gänzlich unbeteiligt, der Gerechtigkeit. Wenn jemand in San Francisco schief angesehen oder grob behandelt wurde, so prüfte der Mandarin den Fall mit gerunzelter Stirn und handelte sodann entsprechend. Der Wirkungskreis seiner Macht erstreckt sich über die ganze Erdkugel. Mit der feinen Spitze seines Fingernagels berührt er den Knopf, in Ábels Vorstellung nichts anderes als ein einfacher Klingelknopf, und der Verurteilte, irgendwo weit weg am anderen Ende der Welt, fällt mit zur Seite gekipptem Kopf in sich zusammen. Von all dem wissen nur sehr wenige. Die Menschen glauben, daß Szikár, der Fachlehrer für Zoologie, sich zu Tode gesoffen hat, Lingen, der Domdechant, Opfer seiner Arterienverkalkung geworden ist und Fiala die heimtückische Schwindsucht dahingerafft hat. Ábel weiß, daß dies alles nur Vorwände sind: Der
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