Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
wirkliche Grund ist jedesmal der Mandarin gewesen, übrigens Ábels persönlicher Protektor, der einen Strahl seiner Macht auf ihn übertragen hat. Ábel hielt sich für den Beauftragten des Mandarins in der Stadt, wo er in solchen Angelegenheiten das Urteil frei, aber natürlich um so gewissenhafter fällen mußte.
    Die Mandarinbeziehung ist Ábels strenggehütetes Geheimnis. Jeder Mensch ist in Gedanken gern Scharfrichter. Von den vier Urteilen, die er auf der Grundlage des Femegerichts fällte, hat der Mandarin drei in erstaunlich kurzer Zeit sanktioniert und auch vollstreckt. Kikinday dagegen, dessen Verurteilung bereits ein Jahr zurückliegt, geht frohgemut in der Stadt umher und erfreut sich augenscheinlich bester Gesundheit, er ist zwar kurzatmig, marschiert aber würdig und selbstgerecht über die Brücke. Ábel weiß, daß sich der Mandarin nur ein wenig verspätet hat. Aus dem Spiel ist für ihn längst in einem Maße Ernst geworden, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Das Hinrichtungswerkzeug, die kaputte Vorzimmerklingel, die in einer Schublade verstaubt, hat er in diesen Tagen hervorgeholt und mit Entsetzen betrachtet. Im Falle Fiala wurde Ábel nachträglich von gewissen Zweifeln befallen. Das Urteil hätte, auch wenn es nicht ungerecht, aber vielleicht doch zu streng war, eventuell auf lebenslängliche Zwangsarbeit lauten können, in einer Bankfiliale oder auf dem Steueramt. Der Mensch irrt manchmal, denkt Ábel. Da ist dieser Kikinday … »Nebulo nebulorum«, sagt der Verurteilte in seinem stadtbekannten Frohsinn. »Nun, wie gefällt das Erwachsensein?«Ábel blickt von unten hinauf in Kikindays aufgedunsenes Gesicht, die schwarzen Zähne dämmern unter dem gezwirbelten Wilhelm-II.Bart, seine wäßrigen Augen schweifen über Ábels Kopf hinweg. Sie gehen zusammen über die Brücke in Richtung Stadt. Kikinday erkundigt sich nach dem Herrn Papa und fragt väterlich, wann Ábel damit rechnet, mit seinen Klassenkameraden an die Front zu gehen.
    Auch Lajos ist so von ihm ausgefragt worden, bevor er hinausging. Seine Neugier hat nichts Boshaftes. Kikinday hält jeden jungen Mann zwischen siebzehn und neunzehn auf der Straße an und erkundigt sich nach dem Termin der Abreise. Langsam gehen sie durch die Pappelallee auf die Stadt zu. Über dem Fluß hängt noch Nebel, der Morgennebel eines sehr heißen Tages.
    Tröstend erwähnt Kikinday, daß die Grundausbildung jetzt viel kürzer sei als zu seiner Zeit. »Ihr wißt ja gar nicht«, sagt er mit leichtem Lamento, »was eine richtige Ausbildung ist. Woher solltet ihr es auch wissen. Ihr quält euch nicht mehr in Kasernen; drei, vier Wochen Übung, und schon könnt ihr hinaus an die Front. Zu meiner Zeit«, und er breitet die Arme weit aus, wie immer, wenn er von »seiner Zeit« spricht, die er zwar nicht näher beschreibt, doch mit dieser Handbewegung verweist er auf sie als auf eine verflossene, nie mehr wiederkehrende Glanzzeit, »zu meiner Zeit, ach, das In-die-Hocke-Gehen, die Liegestütze, Märsche in sengender Hitze. Ihr? Drei Wochen, und fertig, Abmarsch.«
    Kikinday hat in den letzten Jahren selten eine Gelegenheit ausgelassen, wenn es galt, angesichts der mit jüngeren Jahrgängen besetzten Viehwaggons den Hut zu schwenken. Im Verabschiedungskomitee der Honoratioren der Stadt war er am Bahnhof stets in der ersten Reihe zu finden, dieser Platz stand ihm aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung und auch als Freund der Jugend zu.
    Am Gerichtsgebäude trennen sie sich. Ábel muß versprechen, Kikinday rechtzeitig von seiner Abreise in Kenntnis zu setzen. Kikinday bezeichnet den Marsch an die Front immer feinsinnig und schlicht als Abreise. Durchs kühle Treppenhaus schreitet er, aufrecht wie ein Turm, hinauf. Ábel sieht ihm bis zur Kehre des Zwischenstocks nach. Ihm wird übel.
     
    Die drei Stufen, die auf den Hof des Gymnasiums führen, geht er langsam hinauf, die Klasse steht schon im Halbkreis unter der Linde. Er begibt sich an den Rand der Reihe. Der Klassenvorstand sitzt mit historisch bedeutsamem Blick im Zentrum der Gruppe, zu seinen Füßen liegen, wie zwei gezähmte Doggen, Béla und Tibor. Der Photograph hatte schon sein schwarzverhängtes Geschütz aufgebaut, einige Korrekturkommandos erschallen, für sie die endgültig letzten Kommandos auf diesem Hof. Gerade noch rechtzeitig hat Ábel der Linse des Apparats den Rücken zugekehrt. Ernő ist, als er es bemerkte, seinem Beispiel gefolgt, noch während es klickte. Die Gruppe zieht

Weitere Kostenlose Bücher