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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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seine Schulter. Er hat Tränen in den Augen. »Glaubst du an Gott?«
    »Ich weiß es nicht.«»Was denkst du?« sagt er mutlos. »Werden wir es überleben?«
    Sie sehen sich an. Tibor beugt sich vorsichtig zu ihm und berührt rechts und links mit der Hand zärtlich sein Gesicht. Einen Augenblick lang sehen sie sich in die Augen, dann rennt Ábel davon und wirft sich auf den Boden. Er liegt da mit wildem Schluchzen, greift mit den Händen in den Dreck und drückt sein Gesicht in den weichen Grund, sein Körper wird vom Weinen geschüttelt. Er wimmert leise. Lange liegt er so, bis er sich beruhigt. Als er sich aufsetzt, wischt er sich mit der schmutzigen Hand das Gesicht ab und sieht müde um sich: »Ich glaube, es ist zu Ende«, sagt er langsam und erstaunt. »Jetzt weiß ich schon ganz sicher, daß wir es überleben werden.« Sieht vor sich hin, erschaudert: »Vorhin war ich mir noch nicht so sicher.«
     
    ~
     
    Punkt zwei Uhr bleiben sie vor der Pfandleihanstalt stehen. Es ist dies das einzige stockhohe Haus in dem engen Gäßchen. Die Hitze liegt grau und klebrig wie Leim über allem. Der Eingang ist mit einem herabgelassenen Rolladen verschlossen. Sie klingeln an der Seitentür und warten; als niemand öffnet, drückt Tibor die Klinke nieder und geht vor. Im dunklen, muffig und sauer nach Kraut riechenden Stiegenhaus führt eine Holztreppe in den ersten Stock hinauf, wo der Pfandleiher wohnt.
    Der Putz bröckelt von der Wand. Schmutz, Spinnweben und gähnende, schmuddelige Verwahrlosung überall. Ábel fragt: »Hast du Angst?«
    Tibor bleibt stehen, sieht sich einen Augenblick lang um. »Nein«, sagt er unsicher. »Nicht sehr. Aber das alles ekelt mich an, wie der Schauspieler zu sagen pflegt. Und wie scheußlich es hier riecht.« Er dreht sich um und sagt leise: »Überlaß es mir, sag du nichts.«
    Sie haben im Schwimmbad eine Kleinigkeit gegessen und die Zeit fast wortlos verbracht. Tibor kam nur selten aus dem Wasser ans Ufer, legte sich dann auf den Rücken und wiegte seinen Körper unentwegt hin und her. Gemeinsam haben sie sich in einer Kabine umgezogen, ganz unbefangen, unterhielten sich dabei etwas lauter als sonst. Ábel lachte viel und hektisch, vom Ufer aus riefen sie sich Unflätigkeiten zu. Sie nahmen jede Gelegenheit wahr, die Erinnerung an das ausgesprochene Wort zu verdrängen. Redeten von nebensächlichen Dingen, über ihre Pläne und über zukünftige Möglichkeiten, wenn alles gutgeht und diese kleine Episode, die noch auf sie wartet – nämlich der Marsch an die Front oder die »Abreise«, wie Kikinday ihn in seiner gewählten Ausdrucksweise zu nennen beliebt –, ihre Pläne nicht durchkreuzt.
    Tibor möchte in der Tiefebene eine Pferdezucht betreiben. Warum es gerade eine Pferdezucht sein soll, darauf wußte er keine Antwort, aber er verriet, daß er sich auf diese Aufgabe sogar schon vorbereitet und Fachbücher studiert habe und daß er insgeheim mit Pferdehändlern und Roßtäuschern in Verbindung getreten sei. Mitten in seinen Ausführungen hielt er inne, als habe er sich besonnen, und fragte höflich: »Und du?«Ábel zuckte die Achseln. »Vielleicht gehe ich ins Ausland«, sagte er. Der Himmel trübte sich bedrohlich ein, aus der Ferne war Donnergrollen zu hören, schwer hingen die Gewitterwolken über ihnen und konnten sich nicht entladen. Hilflos schwiegen sie. Ábel ging voraus in die Kabine, kleidete sich an und wartete auf der Straße, bis Tibor fertig war.
    Vom Gang im ersten Stock führen zwei Türen hinein, sie blicken sich unentschlossen um. Noch bevor sie Gelegenheit hatten, zu klopfen, öffnet sich eine Tür, und Havas tritt heraus.
    Denkt Ábel später an diese Tage zurück, an diesen Nachmittag und die Nacht, meldet sich am intensivsten die Erinnerung an die Erschütterung, die er in dem Augenblick empfand, als er den Pfandleiher in der Tür seiner Wohnung sah.
    Havas steht in der Tür, wischt sich mit dem Handrücken über den Schnauzbart, lächelt, verbeugt sich und fingert mit einer Hand am geöffneten Kragen. Wenn er lächelt, werden seine kleinen Augen fast von den Fettwülsten verschluckt. Mit einladender Geste macht er die Tür weit auf und läßt ihnen den Vortritt. Sein Atem, denkt Ábel, ist wie Küchenmief, eine Mischung aus Spülwasser und kaltem Fett. Das kommt ihm vermutlich deshalb in den Sinn, weil auch im Stiegenhaus der Gestank von eingeschlossenem Küchendunst hing, und im Zimmer, in das sie eintreten, stehen auf dem zur Hälfte aufgedeckten Tisch in

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