Die Jungfrau im Lavendel
verwandelte sich Virginia auch äußerlich auf höchst erstaunliche Weise.
Gleichzeitig war auch eine Verwandlung mit Dido vor sich gegangen; Neid und Habgier waren von ihr abgefallen wie ein schlecht sitzendes Kleid, sie war glücklich und unbeschwert, glich wieder der verwöhnten Tochter aus dem weißen Gut ihrer Jugend. Glücklich war sie, solange Alain da war, und er blieb länger, als sie zu hoffen gewagt hatte. Denn anfangs hatte er gesagt, er würde gleich wieder am nächsten Tag weiterfahren, es sei zu gefährlich, sich länger an einem Platz aufzuhalten, doch dann blieb er eine Woche, zwei Wochen, fast drei Wochen. Es gab soviel zu bereden, zu erzählen, auch zu planen. Alains Augen blickten klar, seine Haltung war aufrecht, er war unverdorben von dem, was er erlebt hatte, keineswegs belastet von dem Blut, das an seinen Händen klebte. Es war Krieg gewesen, und in einem Krieg mußte man kämpfen und töten, das war Recht und nicht Unrecht, er dachte darin so pragmatisch, so unsentimental, wie Franzosen es von eh und je getan haben. Danio hatte keinen Zutritt mehr zur Ferme. Dido ließ ihn nicht im Stich, sie hielt die Verbindung zu ihm aufrecht, aber nie hätte sie, die wohlerzogene Tochter aus aristokratischem Haus, ihrem Bruder zugemutet, mit anzusehen, daß sie ein Verhältnis mit einem Kellner hatte. Gleich am Morgen nach Alains Ankunft vertrieb sie Danio von der Ferme.
Allerdings hatte es sich nicht vermeiden lassen, daß Alain die beiden Gäste zu sehen bekam. Denn so unfair war Dido wiederum nicht, auch wenn sie es im Grunde ganz gern getan hätte: Danio mitsamt dem Mädchen aus dem Haus zu werfen. Danio, der im Wohnraum lag, nicht ausgezogen, das Haar schweißverklebt, schlief den tiefen Schlaf der Erschöpfung und erwachte auch nicht, als Dido und Alain ins Haus kamen. Im Nebenraum dann das Mädchen, totenblaß das Gesicht, der Atem kaum spürbar. Alain wies mit dem Finger auf Virginias Stirn, dicht am Haaransatz.
»Was hat sie da?«
Denn im matten Morgenlicht, das durch die kleinen Fenster drang, war die Beule deutlich zu erkennen.
Dido nahm Alain an der Hand und zog ihn wieder hinaus ins Freie. Die Sonne kam eben über den Berg, im Stall blökten ungeduldig die Ziegen.
»Sie ist ohnmächtig geworden und mit dem Kopf auf die Tischplatte gefallen.«
»Und wer sind diese Leute?«
»Ach, das ist eine komplizierte Geschichte. Sie sind heute nacht hier angekommen, nach einer langen, strapaziösen Fahrt. Das Mädchen kenne ich gar nicht. Sie ist aus einem Kloster davongelaufen und muß sich hier verstecken.«
Alain lachte unwillkürlich. »Es scheint das bleibende Schicksal der Ferme zu sein, daß man sich hier versteckt. Aber ihn kennst du?«
»Ich kenne ihn schon lange. Er wohnt unten in Antibes. Wir treffen uns manchmal, oder er kommt herauf, um mir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Er ist mit einer Dame befreundet, und die hängt wieder mit dem Mädchen zusammen, das er aus dem Kloster geholt hat, Danio, meine ich. Er hat sie nicht entführt, oder doch, wie man es ehrlicherweise nennen muß. Aber er hat sie nicht gewaltsam entführt.«
»Hm, das ist schwer zu verstehen«, meinte Alain.
»Ich sagte ja, daß es eine komplizierte Geschichte ist, ich muß sie dir richtig der Reihe nach erzählen. Später, das ist jetzt nicht so wichtig.«
»Ist das Mädchen denn in ihn verliebt?«
»Kaum. Sie kennt ihn ja erst seit vorgestern.«
Dido lächelte ihren Bruder ein wenig unsicher an.
»Sie kann zunächst hierbleiben. Ihn werde ich nachher gleich aufwecken und hinunterschicken. Er kann sich zu Hause ausschlafen.«
Alain warf ihr einen prüfenden Blick zu, und Dido fühlte sich unbehaglich. Sie wollte ihren Bruder nicht belügen, auf gar keinen Fall. Er sollte die Wahrheit erfahren. Nur mußte ihre Rolle dabei ein wenig aufpoliert werden.
Was hatte sie denn schon groß für eine Rolle gespielt? Hatte sie Danio vielleicht beauftragt, das Mädchen zu entführen? Das einzige, was sie getan hatte, war, herauszufinden, daß es das Mädchen gab und wo es sich befand.
Und ausgerechnet jetzt mußte Danio mit ihr ankommen. All die Zeit war sie allein gewesen, hätte sich nur ihrem Bruder, nur ihm widmen können. Und nun steckte sie mit in dem Schlamassel, den Danio angerichtet hatte.
Er mußte sofort aus dem Haus. Kein Weg durfte es von ihm zu ihr geben, denn sicher war doch Alain auch gefährdet.
»Wie bist du eigentlich hergekommen? Mußt du dich auch verstecken?«
»Natürlich. Ich bin illegal
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