Die Jungfrau im Lavendel
das sich an der Côte breitmachte, Leute, die man früher hier nicht gesehen hätte. Marcel war sehr befriedigt, daß de Gaulle die Wahlen am 23. und 30. Juni so überzeugend gewonnen hatte und daß die Kommunisten die Hälfte der Sitze im Parlament verloren hatten. Marcel liebte und verehrte den General, ihm allein war es zu verdanken, daß Frankreich den Krieg auf Seiten der Sieger beendet hatte. In dem kurzen Krieg von 1940 hatte Marcel mitgekämpft, war von Verwundung und Gefangenschaft verschont geblieben, aber die darauffolgende jahrelange Schmach Frankreichs hatte ihn tief getroffen. Und General de Gaulle war der Retter und Befreier Frankreichs, das würde für Marcel immer so bleiben.
An diesem Nachmittag schloß und verriegelte Marcel sorgfältig alle Fenster und Türen der Villa, ehe er sich hinter das Steuer seines kleinen Renault setzte.
Während der Fahrt sprachen sie über den seltsamen Besuch, der am späten Vormittag gekommen war und von dem Rose ihrem Mann natürlich schon berichtet hatte. »Es waren Deutsche, meinst du?«
»Bestimmt. Der Mann sprach zwar sehr gut französisch, die Dame hat nichts gesagt. Warum sie wohl nach einer Mademoiselle Virginia gefragt haben?«
Marcel hob die Schultern.
»Vielleicht waren es Bekannte von Madame?«
»Oder Verwandte?« fiel Rose plötzlich ein.
»Bis jetzt hat sie nie Besuch von Verwandten gehabt. Und nie von Verwandten gesprochen, nicht wahr?«
»Nein.«
Obwohl sie traditionsgemäß keine Deutschen mochten, hatte sie an Madame nicht allzuviel auszusetzen. Sie hatte ja auch lange genug im Ausland gelebt, so richtig deutsch war sie wohl nicht mehr. Rose und Marcel kamen gut mit ihr zurecht, sie war großzügig, freundlich, beanspruchte ihre Dienste nicht über die Maßen, es blieb ihnen genug freie Zeit, und bei Rose hatte sie sich zusätzlich beliebt gemacht, weil sie immer ausführlich genoß und auch lobte, was Rose kochte. Rose war eine vorzügliche Köchin, und wie jeder Meister dieses Faches dürstete sie nach Anerkennung. Die wurde ihr bei Madame in ausreichendem Maße zuteil.
Den Italiener an ihrer Seite mochten sie weniger, aber man mußte ihn ertragen. Sie waren Franzosen genug, um Madame einen Liebhaber zuzugestehen, sie war noch jung genug, sie war attraktiv, und Geld hatte sie auch. Ein Mann gehörte wohl dazu.
Natürlich – so wie bei Monsieur d'Archaud würde es nie wieder sein, da war der Mas Maurice ein wirklich vornehmes Haus gewesen, auch ein lebendiges Haus, solange Madame d'Archaud noch lebte.
Daß er nun lieber in der Nähe seiner Kinder und Enkelkinder leben wollte, verstanden sie sehr gut, mit Tatsachen mußte man sich abfinden, und so gesehen, war Madame Henriques eine erträgliche Alternative.
»Hoffentlich ist sie wieder ganz gesund«, meinte Rose, und Marcel sagte: »Ihre Stimme klang sehr fröhlich am Telefon, hast du erzählt.«
Dann mußte er sich damit befassen, einen Parkplatz nicht allzuweit von Marguerites Wohnung zu entdecken. Aber der Renault war ein vernünftiges Auto. Mit Madames Bentley war das immer viel schwieriger.
Wie gesagt, an diesem Tag, am nächsten und auch am übernächsten hätte Clemens absolut nichts Besonderes in und um den Mas Maurice entdecken können. So stellte er auf seine Art einige Recherchen an.
Juschi und er wohnten in einem hübschen kleinen Hotel in Juan-les-Pins, und Juschi war dazu verdonnert, dort zu bleiben, geruhsam spazierenzugehen, aufs Meer zu blicken, irgendwo Kaffee zu trinken oder auch mal einen kleinen Aperitif, und so zu tun, als mache sie Urlaub.
»Aber dazu sind wir nicht hergekommen, Clemens«, wehrte sie sich.
»Ergibt sich nebenbei. Tut dir genauso gut wie mir.«
»Aber du? Was willst du denn tun?«
»Sag ich ja gerade, Urlaub machen. Und nebenbei ein bißchen herumhören. Ich werde immer sehen, bei den Mahlzeiten wieder hier zu sein, auf jeden Fall am Abend. Mittags kannst du schlimmstenfalls auch einmal allein essen, nicht?«
»Ich will überhaupt nicht soviel essen.«
»Doch, das mußt du, wenn du nun schon in Frankreich bist.«
Clemens trieb sich also in Antibes und am Cap herum und schloß hier und da ein paar Bekanntschaften. Er ging, wie immer, die Sache ganz logisch an.
Vorausgesetzt, daß Anita Henriques die ehemalige Anita von Onkel Ferdinand war, was man ja mehr oder weniger nur vermuten konnte, denn man wußte ja nicht, welche Verbindung zwischen ihr und dem kürzlich Verstorbenen bestanden hatte, dann war sie auch die Mutter von Virginia. Als
Weitere Kostenlose Bücher