Die Jury
juristische Hilfe.«
Es lag Jake überhaupt nichts daran, viele von Luciens Mandanten zu behalten. »Und die Miete?«
»Zahlen Sie mir, was Sie sich leisten können. Zu Anfang haben Sie bestimmt erhebliche finanzielle Probleme, aber ich bin sicher, Sie kommen über die Runden. Ich brauche kein Geld – im Gegensatz zu Ihnen.«
»Sie sind sehr freundlich.«
»Oh, ich bin ein netter Kerl.« Die beiden Männer lachten.
Jake wurde wieder ernst. »Und Ethel?«
»Das liegt ganz bei Ihnen. Sie ist eine gute Sekretärin und kennt sich mit den Gesetzen besser aus als mancher Anwalt. Ich weiß, daß Sie nicht viel von ihr halten, aber sie wäre schwer zu ersetzen. Kündigen Sie ihr, wenn Sie wollen. Mir ist es gleich.«
Lucien schritt zur Tür. »Rufen Sie mich an, falls Sie meinen Rat brauchen. Ich bin immer für Sie da. Bringen Sie Ihre Sachen in dieses Büro. Mein Vater hat hier gearbeitet, und seiner vor ihm. Verstauen Sie meinen Kram in Kartons. Ich hole das Zeug später ab.«
Cobb und Willard erwachten mit starken Kopfschmerzen und roten, angeschwollenen Augen. Ozzie schrie sie an. Sie lagen in einer kleinen Zelle, die niemand sonst mit ihnen teilte. Auf der rechten Seite befand sich eine andere Zelle, in der Staatsgefangene auf ihren Transport nach Parchman warteten. Zehn Schwarze standen dort, starrten durchs Gitter und beobachteten die beiden Weißen, als sie sich die Augen rieben. In der Kammer weiter links hockten weitere Schwarze.
»Aufwachen!« rief Ozzie. »Und seid brav. Sonst bringe ich euch bei den anderen Jungs unter.«
Jakes ruhige Zeit dauerte von sieben bis um halb neun, wenn Ethel eintraf. Während dieser neunzig Minuten legte er großen Wert darauf, nicht gestört zu werden. Er schloß die Tür ab, ignorierte das Telefon und empfing niemanden. Mit großer Sorgfalt plante er den Tag. Um acht Uhr dreißig hatte er für Ethel genug Arbeit diktiert, um sie bis Mittag ruhig und beschäftigt zu halten. Um neun war er entweder im Gericht oder bei Klienten. Erst ab elf Uhr nahm er Anrufe entgegen und beantwortete alle am Morgen eingetroffenen Mitteilungen. Nie versäumte er einen Rückruf – eine weitere Regel. Jake arbeitete systematisch, ohne Zeit zu verschwenden. Eine Angewohnheit, die er nicht von Lucien übernommen hatte.
Um halb neun hörte er, wie Ethel das Empfangszimmer betrat. Sie kochte frischen Kaffee und öffnete die Post, wie an jedem Tag während der vergangenen einundvierzig Jahre. Als Vierundsechzigjährige sah Jakes Sekretärin wie fünfzig aus. Sie war mollig, ohne dick zu wirken, gut gepflegt, aber nicht attraktiv.
Stumm las sie die an Jake Brigance gerichteten Briefe und aß dabei ein Würstchen und mehrere Kekse.
Nach einer Weile hörte Jake Stimmen – Ethel sprach mit einer anderen Frau. Er sah in seinem Kalender nach – keine Termine bis um zehn.
»Guten Morgen, Mr. Brigance«, tönte es aus der Wechselsprechanlage.
»Guten Morgen, Ethel.« Sie zog es vor, Mrs. Twitty genannt zu werden; Lucien und alle anderen sprachen sie so an. Aber Jake blieb beim Vornamen.
»Eine Dame möchte zu Ihnen.«
»Sie hat keinen Termin?«
»Nein, Sir.«
»Vereinbaren Sie einen für morgen nach zehn Uhr dreißig. Derzeit habe ich zu tun.«
»Ja, Sir. Aber die Besucherin meint, es sei sehr dringend.«
»Wie heißt sie?« fragte Jake scharf. Es ging immer um etwas Dringendes, wenn jemand unangemeldet kam – wie bei einem Abstecher ins Leichenschauhaus oder zur Wäscherei. Wahrscheinlich wollte sich die Frau nach Onkel Lukes Testament oder einer Gerichtsverhandlung erkundigen, die in drei Monaten begann.
»Mrs. Willard«, antwortete Ethel.
»Hat sie nur einen Nachnamen?«
»Earnestine Willard. Sie kennen sie nicht, aber ihr Sohn sitzt im Gefängnis.«
Jake nahm seine Verabredungen immer pünktlich wahr, doch unangekündigte Besuche standen auf einem ganz anderen Blatt. Entweder schickte Ethel die betreffenden Leute fort oder vereinbarte einen Termin. »Mr. Brigance ist sehr beschäftigt«, erklärte sie bei solchen Gelegenheiten, »aber übermorgen kann er vielleicht einige Minuten für Sie erübrigen.« Derartige Hinweise beeindruckten immer.
»Sagen Sie ihr, daß ich nicht interessiert bin.«
»Aber sie braucht einen Anwalt. Heute nachmittag kommt ihr Sohn vor Gericht.«
»Sie soll sich an Drew Jack Tyndale wenden, den Pflichtverteidiger. Er ist gut und hat sicher Zeit für sie.«
Ethel gab den Rat weiter. »Mrs. Willard möchte, daß Sie ihren Sohn vertreten. Sie hat gehört,
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