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Die Jury

Titel: Die Jury Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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ihm seine Arbeit; aber manchmal, wenn ein wichtiges Verfahren bevorstand, regte sich eine Mischung aus Unbehagen, Furcht und Entsetzen in ihm, und dann spürte er plötzlich den Wunsch, Versicherungsvertreter oder Börsenmakler geworden zu sein. Dann konnte er sich sogar vorstellen, als Steuerberater zu arbeiten. Solche Leute litten bestimmt nicht an Übelkeit und Durchfall, wenn kritische Phasen in ihrer beruflichen Laufbahn bevorstanden.
    Lucien hielt Furcht für ein gutes Zeichen, für einen Verbündeten. Er meinte, jeder Anwalt fürchtete sich, wenn er vor einer neuen Jury stand und seinen Fall darlegte. Es war ganz in Ordnung, sich zu fürchten – man durfte sich nur nichts anmerken lassen. Die Geschworenen glaubten nicht dem Anwalt mit der geschicktesten Zunge oder den beeindruckendsten Worten. Sie glaubten nicht dem besser gekleideten Anwalt. Sie glaubten nicht dem Anwalt, der im Gerichtssaal scherzte und Witze riß. Sie glaubten nicht dem Anwalt, der am lautesten predigte oder mit der größten Entschlossenheit kämpfte. Nein, Lucien hatte Jake davon überzeugt, daß sie dem Anwalt glauben würden, der die Wahrheit sagte, ganz gleich, welches Erscheinungsbild er bot oder welche Worte er benutzte. Äußerlichkeiten spielten in diesem Zusammenhang keine Rolle. Ein guter Anwalt mußte im Gerichtssaal ganz er selbst sein, und wenn er sich fürchtete – na schön. Die Mitglieder der Jury teilten seine Empfindungen.
    »Freunden Sie sich mit der Furcht an«, lautete Luciens Rat. »Sie wird nie von Ihnen weichen. Und wenn es Ihnen gelingt, sich endgültig von ihr zu befreien, so verlieren Sie dadurch nur die Kontrolle.«
    Die Nervosität prickelte vor allem im Unterleib, und Jake ging ins Erdgeschoß, um erneut die Toilette aufzusuchen.
    »Wie geht's Ihnen, Boß?« fragte Ellen, als er zu ihr hereinsah.
    »Ich bin bereit. Glaube ich. Wir brechen gleich auf.«
    »Draußen warten einige Reporter. Ich habe ihnen gesagt, Sie hätten den Fall aufgegeben und die Stadt verlassen.«
    »Derzeit wünsche ich mir, dazu in der Lage zu sein.«
    »Haben Sie von Wendall Solomon gehört?«
    »Im Augenblick kann ich mich nicht an ihn erinnern.«
    »Er arbeitet für den Southern Prisoner Defense Fund. Im letzten Sommer bin ich für ihn tätig gewesen. Er hat überall im Süden an über hundert Prozessen teilgenommen, bei denen es um Kapitalverbrechen ging. Vor jedem Verfahren wird er so nervös, daß er weder essen noch schlafen kann. Sein Arzt verabreicht ihm Beruhigungsmittel, doch er ist trotzdem so aufgedreht, daß am ersten Tag kaum jemand mit ihm spricht. Lampenfieber. Und er leidet noch immer daran, selbst nach hundert Gerichtsverhandlungen.«
    »Wie wird Ihr Vater damit fertig?«
    »Er trinkt einige Martinis mit Valium. Dann schließt er die Tür seines Büros ab, schaltet das Licht aus und legt sich auf den Schreibtisch – bis es Zeit wird, zum Gericht zu fahren. Jedesmal ist er mit den Nerven runter und noch gereizter als sonst.«
    »Sie kennen das Gefü hl also?«
    »Ja, ich kenne es gut.«
    »Wirke ich nervös?«
    »Sie sehen müde aus. Aber Sie haben bestimmt einen guten Auftritt.«
    Jake blickte zur Uhr. »Also los.«
    Die Reporter auf dem Bürgersteig stürmten ihrem Opfer entgegen. »Kein Kommentar«, wiederholte Brigance immer wieder, als er langsam über die Straße zum Gerichtsgebäude ging. Der Schwall aus Fragen dauerte an.
    »Ziehen Sie in Erwägung, mit dem Hinweis auf Verfahrensmängel eine Aufhebung des Urteils zu beantragen?«
    »Das kann ich erst, nachdem der Prozeß stattgefunden hat.«
    »Sind Sie vom Klan bedroht worden?«
    »Kein Kommentar.«
    »Stimmt es, daß Sie Ihre Familie für die Dauer des Verfahrens aus der Stadt geschickt haben?«
    Jake zögerte und sah den Journalisten an. »Kein Kommentar.«
    »Was halten Sie von der Nationa lgarde?«
    »Ich bin stolz auf sie.«
    »Kann Ihr Klient hier in Ford County einen fairen Prozeß erwarten?«
    Jake schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Kein Kommentar.«
    Ein Deputy hielt dort Wache, wo Cobb und Willard erschossen worden waren. Er zeigte auf Ellen. »Wer ist das, Jake?«
    »Meine Assistentin. Sie stellt keine Gefahr dar.«
    Sie eilten die rückwärtige Treppe hoch. Carl Lee saß allein am Tisch der Verteidigung und wandte den Rücken dem Zuschauerbereich zu, wo kein Platz mehr frei war. Jean Gillespie führte die Geschworenen herein, während Deputys umherwanderten und nach etwas Verdächtigem Ausschau hielten. Jake begrüßte seinen Klienten

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