Die Jury
als solche erkennen. Einige Risse zierten die Windschutzscheibe, und ihr Rand diente als Friedhof für Tausende von Insekten. Dutzende von leeren Bierdosen und zerbrochenen Flaschen lagen vor den Sitzen. Die Klimaanlage funktionierte schon seit sechs Jahren nicht mehr. Jake hatte vorgeschlagen, den Saab zu benutzen, aber Harry Rex verfluchte seine Dummheit und bezeichnete den roten Wagen als unübersehbares Ziel für jeden Heckenschützen. Dem Bronco hingegen würde niemand Beachtung schenken.
Langsam fuhren sie zum See, ohne ein bestimmtes Ziel anzusteuern. Willie Nelson heulte aus dem Lautsprecher des Kassettenrecorders; Harry Rex klopfte mit den Fingern ans Lenkrad und sang laut mit. Normalerweise klang seine Stimme rauh und heiser, doch wenn er sang, war sie schlicht und einfach abscheulich. Jake nippte an seinem Bier und suchte nach Tageslicht hinter der Windschutzscheibe.
Es kündigte sich nun ein Ende der Hitzewelle an. Dunkle Wolken ballten sich im Südwesten zusammen, und als sie Hueys Schuppen erreichten, fielen erste Tropfen auf ausgedörrten Boden. Sie wuschen Staub von den Bäumen und Büschen am Straßenrand, kühlten den weichen, heißen Asphalt und schufen klebrigen Dunst, der eine anderthalb Meter hohe Decke auf dem Highway bildete. Abflußrinnen füllten sich allmählich und trugen das Wasser zu größeren und breiteren Gräben. Der Regen strömte auf Baumwoll- und Sojabohnenplantagen herab und sammelte sich dort in rasch größer werdenden Lachen.
Die Scheibenwischer funktionierten erstaunlicherweise; mit mechanischer Entschlossenheit strichen sie hin und her und entfernten die Dreckkrusten und Insekten. Es regnete immer stärker, und Harry Rex drehte die Lautstärke des Kassettenrecorders auf.
Die Schwarzen mit ihren Angelruten und Strohhüten hockten unter den Brücken und warteten darauf, daß die dunklen Wolken weiterzogen. Vor ihnen schwollen die Bäche an, gespeist vom Wasser aus den Gräben. Sie wuchsen in die Breite, traten über ihre bisherigen Ufer, gurgelten und schäumten. Die Schwarzen aßen Würstchen und Kekse und erzählten sich Anglergeschichten.
Harry Rex bekam Appetit. Er hielt vor Treadways Laden unweit des Sees an, kaufte noch mehr Bier, zwei Portionen Seewolf und eine große Tüte mit gegrilltem, pikant gewürztem Schweinefleisch, die er Jake zuwarf.
Ein wahrer Wolkenbruch prasselte nieder, als sie den Damm überquerten. Harry Rex parkte neben dem kleinen Pavillon eines Picknickplatzes. Sie setzten sich auf einen Betontisch und beobachteten, wie der Regen auf den Lake Chatulla herabströmte. Jake trank Bier, während Harry Rex die beiden Fischportionen verschlang.
»Wann wollen Sie Carla davon erzählen?« fragte der Scheidungsanwalt nach einer Weile.
Über ihnen dröhnte das Blechdach. »Wovon?«
»Ich meine die Sache mit dem Haus.«
»Oh, ich verrate ihr überhaupt nichts und lasse es wiederaufbauen, bevor sie zurückkehrt.«
»Bis zum Ende der Woche?«
»Ja.«
»Sie schnappen über, Jake. Sie trinken zuviel und verlieren den Verstand.«
»Ich verdiene es nicht anders. Nur noch zwei Wochen trennen mich vom Bankrott. Ich verliere den wichtigsten Prozeß meiner ganzen beruflichen Laufbahn, einen Fall, für den ich neunhundert Dollar Honorar bekommen habe. Mein wundervolles Haus – es galt als Sehenswürdigkeit in Clanton, und die alten Damen vom Gartenklub wollten, daß es in Southern Living erwähnt wird – ist nur noch ein Haufen Schutt. Meine Frau hat mich verlassen, und wenn sie von unserem abgebrannten Heim erfährt, reicht sie bestimmt die Scheidung ein. Da bin ich ganz sicher. Meine Ehe ist so gut wie gescheitert. Und wenn meine Tochter hört, daß ihr verdammter Hund im Feuer starb, haßt sie mich ihr Leben lang. Man hat es auf mich abgesehen: Der Klan ist hinter mir her; Heckenschützen halten nach mir Ausschau. Im Krankenhaus liegt ein Soldat mit der für mich bestimmten Kugel in der Wirbelsäule. Er ist gelähmt, und sicher denke ich dauernd an ihn, selbst wenn ich hundert Jahre alt werde. Der Ehemann meiner Sekretärin starb, weil seine Frau für mich arbeitete. Ellen Roark hat einen Punker-Haarschnitt und eine Gehirnerschütterung, weil sie meine Assistentin sein wollte. Aufgrund von Dr. W. T. Bass hält mich die Jury für einen verlogenen Halunken. Mein Klient will mich feuern. Falls er verurteilt wird, gibt man mir die Schuld. Beim Berufungsverfahren läßt er sich von einem anderen Anwalt vertreten, und vielleicht muß ich damit rechnen, wegen
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