Die Jury
denn, Fremde kommen herein. Dann drehen sich die Gespräche wieder ums Übliche.«
»Warum?«
»Wenn man sich so verhält, als wisse man etwas, folgen einem die Reporter nach draußen, um Dutzende von Fragen zu stellen.«
»Ist es so schlimm?«
»Nein, es ist großartig. Das Geschäft ging nie besser.«
Jake lächelte, gab Butter in die Grütze und fügte Tabasco hinzu.
»Was halten Sie von der Sache?«
Dell kratzte sich mit einem langen roten Fingernagel am Nasenrücken und pustete in den Becher. Sie war bekannt für ihre Offenheit, und Jake erwartete eine ehrliche Antwort.
»Carl Lee ist schuldig. Er hat die beiden Vergewaltiger umgebracht. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Aber er hatte einen verdammt guten Grund dafür. Einige Leute bewundern ihn.«
»Angenommen, Sie gehören zu den Geschworenen. Schuldig oder nicht schuldig?«
Dell sah in Richtung Tür und winkte einem Stammgast zu. »Nun, der Instinkt fordert mich auf, jemandem zu verzeihen, der einen Vergewaltiger umgebracht hat. Insbesondere einem Vater. Aber wir dürfen auch nicht zulassen, daß sich jemand eine Waffe schnappt und Selbstjustiz übt. Können Sie beweisen, daß Ihr Klient zum Tatzeitpunkt unzurechnungsfähig war?«
»Gehen wir einmal davon aus.«
»Dann würde ich für nicht schuldig stimmen, obwohl ich glaube, daß er alles andere als verrückt ist.«
Jake strich Erdbeermarmelade auf einen trockenen Toast und nickte anerkennend.
»Was ist mit Looney?« fragte Dell. »Ich mag ihn.«
»Ein Unfall.«
»Genügt dieser Hinweis vor Gericht?«
»Nein. Nein, er genügt nicht. Die automatische Waffe ging wohl kaum von allein los. Er wurde durch Zufall angeschossen, aber das entlastet den Angeklagten nicht. Würden Sie ihn verurteilen, weil er Looney verletzte?«
»Vielleicht«, antwortete Dell langsam. »Er hat ein Bein verloren.«
Wieso soll Carl Lee unzurechnungsfähig gewesen sein, als er Cobb und Willard umlegte – aber nicht, als er auf Looney schoß? dachte Jake, behielt diese Frage jedoch für sich. Er wechselte das Thema.
»Was erzählt man sich über mich?«
»Nun, jemand wollte wissen, warum Sie seit einigen Tagen nicht mehr hier frühstücken. Er meinte, wahrscheinlich hätten Sie jetzt keine Zeit mehr für uns, weil Sie berühmt sind. Hier und dort klagt man darüber, daß Sie einen Nigger verteidigen, aber es sind nur leise Stimmen. Ich lasse nicht zu, daß man Sie laut kritisiert.«
»Sie sind ein Schatz.«
»Ich bin ein gemeines Miststück, und das wissen Sie.«
»Nein. Sie versuchen nur, einen solchen Eindruck zu erwecken.«
»Glauben Sie? Dann passen Sie auf.« Dell erhob sich, trat vom Tisch fort und schrie einige Farmer an, die mehr Kaffee wollten. Jake beendete sein Frühstück allein und kehrte ins Büro zurück.
Als Ethel um halb neun eintraf, warteten zwei Reporter auf dem Bürgersteig neben der verschlossenen Tür. Sie folgten der Sekretärin ins Zimmer und baten um ein Gespräch mit Mr. Brigance. Ethel lehnte ab und wollte die Journalisten nach draußen schicken, aber sie blieben vor ihrem Schreibtisch stehen und verlangten, vom Anwalt empfangen zu werden. Jake hörte die lauten Stimmen im Erdgeschoß und schloß die Tür ab. Sollte Ethel allein damit fertig werden.
Er sah aus dem Fenster, bemerkte einen Fernsehwagen am hinteren Eingang des Gerichtsgebäudes und spürte einen herrlichen Adrenalinschub. Einige Sekunden lang sah er sich in den Abendnachrichten, wie er mit energischen Schritten und würdevollem Ernst die Straße überquerte, gefolgt von Reportern, die Fragen stellten und keine Antwort bekamen. Himmel, es ging nur darum, die Anklageschrift zu verlesen! Der eigentliche Medienrummel begann erst beim Prozeß. Überall Kameras, neugierige Journalisten, Leitartikel, Fotos auf den Titelseiten von Zeitschriften. Eine Zeitung von Atlanta hatte das Verfahren gegen Carl Lee Hailey als sensationellsten Mordfall im Süden seit zwanzig Jahren bezeichnet. Jake wäre sogar bereit gewesen, den Angeklagten gratis – beziehungsweise fast gratis – zu vertreten.
Kurze Zeit später unterbrach er den Streit im Zimmer der Sekretärin und begrüßte die Reporter freundlich. Ethel floh in den Konferenzraum.
»Wären Sie bereit, einige Fragen zu beantworten?« wandte sich einer von ihnen an den Anwalt.
»Dazu sehe ich mich leider außerstande«, erwiderte Jake höflich. »Ich muß zu Richter Noose.«
»Nur die eine oder andere.«
»Nein. Aber ich gebe eine Pressekonferenz, um drei Uhr heute
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