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Die Juweleninsel

Die Juweleninsel

Titel: Die Juweleninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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von Deinem Schwure entbinden werde.«
    Sie reichte ihm ihre Hand entgegen; er nahm dieselbe in die seinige, und es war ihm dabei als ob sein Herz von einem Strom durchdrungen werde, der aus der Seligkeit der Götter herabgefluthet sei. Er vergaß, diese Hand wieder freizugeben, und sie vergaß, sie wieder an sich zu ziehen. In jenen tropischen Ländern tritt jedes Naturereigniß mit größerer Schnelligkeit ein als bei uns, der Sturm kommt unvorhergesehen; das Wetter umzieht ohne alle Vorbereitung den Horizont, die Sonne durchbricht die finstern Wolken ohne sich erst anzumelden; Tag und Nacht scheiden ohne Dämmerung, und auch die Gefühle des Menschen erobern sein Leben, Denken und Handeln ohne erst den kühlen berechnenden Verstand um die Erlaubniß zu befragen.
    »Du sollst mich nie, niemals von diesem Schwure entbinden, Sahiba,« flüsterte er mit erregter zitternder Stimme. »Ich will Dir dienen und gehorchen, bis Gott mein Leben von mir fordert. Aber es ist hier verboten mit Frauen zu verkehren.«
    »Ich bin die Begum, und ich darf gebieten. Die Gesetze werden von den Königen gemacht, und die Könige haben also auch das Recht, die Gesetze wieder aufzuheben oder zu verändern. Und wer soll es denn erfahren, daß wir mit einander sprechen? Mein Bruder, der Rajah, nicht, und ein anderer noch viel weniger.«
    »Und wo können wir sprechen, ohne daß es Jemand erfährt?«
    »Komm; ich werde Dir es zeigen!«
    Sie hielten sich noch immer bei der Hand und erhoben sich. Sie führte ihn vorsichtig nach der Frauenabtheilung des Gartens und dem Kiosk, in welchem sie vorher ihren Bruder empfangen hatte.
    »Verstehst Du den Laut nachzuahmen, welchen der Bülbül 8 ausstößt, wenn er träumt?«
    »Ich verstehe es.«
    »Versuche es.«
    Er legte die beiden Hände an den Mund und ahmte die abgerissenen Traumtöne der Nachtigall nach.
    »Du kannst es,« meinte sie. »Wenn Du mit mir sprechen willst, so komme hierher, ohne Dich von jemanden erblicken zu lassen und stoße diese Laute aus. Es wird stets vom Einbruche des Abends an eine treue Sklavin auf Dich warten, bis ich selbst erscheine. Sie führt Dich in das Innere des Häuschens und wird Dich dort bis zu meiner Ankunft verbergen. Bin ich selbst da, so hörst Du von mir das Girren einer Turteltaube und kannst sogleich eintreten. Hörst Du aber dieses Zeichen nicht und komme ich auch nicht, so ist das ein Zeichen, daß mein Bruder bei mir ist. Dann mußt Du Dich verbergen bis er geht.«
    Diese Auseinandersetzung erfüllte ihn mit einem unnennbaren Glücke. Die Hülle hatte sich von ihrem Gesichte verschoben; er fühlte sich von der unbeschreiblichen Schönheit desselben bezaubert und hätte in diesem Augenblicke tausend Leben für dieses herrliche unvergleichliche Wesen lassen können.
    »Ich werde kommen, Sahiba!«
    Das war alles, was er zu sagen vermochte.
    »Und Du wirst mir nie etwas verheimlichen?«
    »Nie.«
    »Nichts von Eurer Politik und Euren Kriegsgeschäften und auch nichts von – – von – –«
    Sie stockte. Er sah, daß ihr Auge sich größer auf ihn richtete, und glaubte trotz des unzureichenden Sternenlichtes eine Röthe zu bemerken, welche ihre Wangen färbte. Er frug: »Von was noch?«
    »Von – von Dir selbst?«
    »Auch nichts von mir selbst!« gelobte er.
    Er hätte noch viel mehr, er hätte Alles versprechen können, was sie von ihm forderte.
    »Ich glaube Dir. Jetzt gehe. Leïkum saaide!« 9
    »Leïkum saaide!« antwortete er.
    Er ergriff nochmals ihr Händchen und zog es an seine Lippen. Sie fühlte das Beben seiner Hand und die Gluth seines Mundes, seines Athems.
    »Sei treu nur meinem Bruder und mir; keinem Andern und auch – keiner Andern!«
    Diese Worte flüsterte sie noch in bittendem Tone, dann wandte sie sich dem Kiosk zu.
    Er begab sich nach dem Palaste und den Gemächern zurück, welche ihm angewiesen worden waren. Er befand sich wie in tiefem Traume, konnte aber doch keine Ruhe finden, bis endlich erst mit dem Anbruch des Tages der Schlaf sich über ihn neigte und die Gestalten verscheuchte, welche die geschäftige und gefällige Phantasie herbeigezaubert und mit den glühendsten Farben ausgestattet hatte, mit Farben, die nur der Süden kennt und die nur ein südliches Auge zu ertragen vermag.
    Während er schlief herrschte auf dem weiten Hofe des Palastes ein reges nächtliches Leben. Man war beschäftigt, Bauten zu errichten, welche sich rings an der Mauer herumzogen und deren Beschaffenheit man bei dem unzulänglichen Fackellichte nur

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