Die Kälte Des Feuers
Klauen des Ungetüms, das ihr aus dem Traum ins Motelzimmer gefolgt war. Für einige Sekunden veränderte der Schmerz die Perspektive ihrer Wahrnehmung, und sie hatte das sonderbare Gefühl, kaltes blaues Feuer zu sehen, das ohne Flammen loderte. Doch dabei handelte es sich nur um eine Reaktion auf die von Grauen begleiteten Erinnerungen an den Alptraum. Als sie Jims Hände behutsam von der Taille löste, die Arme anwinkelte und das Becken hob, ihm entgegen, als sie ihn ganz in sich aufnahm, war er nur noch Wärme. Nicht der geringste Frost ging von ihm aus. Gemeinsam schufen sie genug Hitze, um auch eine Seele aus Eis zu schmelzen.
Das blasse Glühen des Mondes erhellte pechschwarze Wolken, die rasch über den nächtlichen Himmel zogen.
Im Gegensatz zu ihren früheren Träumen stand Holly auf einem Kiespfad, der sich zwischen Teich und Kornfeld erstreckte und zur Tür der alten Windmühle führte. Das Kalksteingebäude ragte steil empor, auf den ersten Blick als Mühle zu erkennen - trotzdem wirkte es fremdartig und unheimlich.
Die Flügel - an manchen Stellen existierte ihre Bespannung nur noch in Form fransiger Fetzen zeichneten sich als dunkle Silhouette vor dem düsteren Himmel ab und sahen aus wie ein zur Seite gekipptes Kreuz. Zwar wehte ein stürmischer Wind, der die Wasseroberfläche des tintenschwarzen Sees kräuselte und das nahe Korn hin und her wogen ließ, aber die Windmühlenflügel rührten sich nicht von der Stelle. Offenbar hatte man die Mühle schon vor vielen Jahren stillgelegt; vermutlich waren ihre mechanischen Teile längst verrostet.
Ein geisterhaftes, blaßgelbes Licht flackerte an den schmalen Fenstern im oberen Raum. Hinter den Scheiben glitten sonderbare Schatten über die inneren Wände der hohen Kammer.
Holly wollte sich dem Gebäude nicht nähern, hatte noch nie zuvor solche Furcht vor einem Ort empfunden, aber sie konnte nicht stehenbleiben. Gegen ihren Willen ging sie weiter, wie gefangen im magischen Bann eines mächtigen Zauberers.
Der Mondschein erzeugte seltsame Reflexe auf dem Teich links von ihr, und sie drehte neugierig den Kopf. Das Muster aus Licht und Dunkelheit auf dem Wasser wirkte wie ein Negativbild. Der Mühlenschatten bot sich nicht als eine dunkle geometrische Form dar, an den Kanten umschmiegt vom perlmuttenen Glühen des Mondes - statt dessen war er heller als die restliche Wasseroberfläche, so als strahle die Mühle, als sei sie das hellste Objekt in der Nacht, obgleich sie eine pechschwarze, gespenstische Masse bildete. In den hohen Fenstern der echten Mühle tanzte unstetes Licht, doch das Spiegelbild zeigte finstere Rechtecke wie die leeren Augenhöhlen in einem Totenschädel.
Irgend etwas knarrte.
Holly sah auf.
Die langen Flügel gaben dem Druck des Windes nach und begannen sich zu drehen. Sie zwangen verrostete Zahnräder und den vertikalen Schaft der Welle zu widerstrebender Bewegung, und schließlich knirschten auch die Mühlsteine im unteren Raum aneinander.
Holly wollte erwachen, und da ihr das nicht gelang, verspürte sie den Wunsch, über den Kiespfad zu fliehen. Trotzdem ging sie weiter in Richtung Mühle. Die Flügel drehten sich im Uhrzeigersinn, wurden schneller, und das Knarren ließ allmählich nach. Sie erschienen Holly wie die Finger einer monströsen Hand, und in den rissigen Teilen am Ende eines jeden Flügels sah sie Klauen.
Kurz darauf erreichte sie die Tür.
Alles in ihr sträubte sich dagegen, das Gebäude zu betreten. Bestimmt erwartete sie im Innern eine Art Hölle, mindestens so schlimm wie die Foltergruben, von denen jeder Feuerund-Schwefel-Prediger berichtete, der jemals in Salem zu entsetzten Gläubigen gesprochen hatte. Holly wußte: wenn sie die Mühle betrat, drohte ihr der Tod.
Die Flügel rasten herab, strichen nur einen halben Meter über ihrem Kopf hinweg. Gesplittertes Holz streckte sich ihr entgegen. Wusch, wusch, wusch, wusch.
Sie öffnete die Tür in einer Trance, die ihr noch festere Fesseln anlegte als der Schrecken. Langsam trat sie ein und blickte sich um. Hinter ihr entwickelte die Tür plötzlich jene Art von boshaftem Eigenleben, das Objekte nur in Träumen entwickeln; mit einem dumpfen Knall fiel sie wieder zu.
Vor ihr erstreckte sich ein dunkler Raum, in dem alte Steinräder mahlten.
Links führte eine Treppe nach oben, deren Konturen sich in der Düsternis verloren. Lautes Kreischen und Heulen erklang von oben wie das nächtliche Konzert in einem Dschungel, doch diese Stimmen stammten nicht von
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