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Die Kälte in dir (German Edition)

Die Kälte in dir (German Edition)

Titel: Die Kälte in dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kern
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mehr als bedauerlich.«
    »Ersparen Sie mir die Heuchelei, Frau Doktor!«
    Das provokante Grinsen der Leichenbeschauerin machte es noch schwerer, ihr Anliegen vorzubringen. Vor allem, da Kristina tatsächlich noch nicht über die fertigen Obduktionsberichte informiert war. Decher glaubte wohl, sie könne beim Telefondienst keine Ablenkung gebrauchen.
    »Es wäre mir recht, wenn wir uns ausschließlich auf die Mordfälle konzentrieren«, erklärte sie und schlug einen versöhnlicheren Ton an.
    »Und welches Detail hätten Sie gerne mit mir diskutiert?«
    »Carola Walz, das dritte Opfer, litt an einer Stoffwechselerkrankung. Konnten Sie auch bei Schwarz und Osswald etwas in der Art nachweisen?«
    »Keine Auffälligkeiten diesbezüglich. Keinesfalls bei Schwarz, und die Fettleibigkeit bei Osswald dürfte von falscher Ernährung und mangelnder Bewegung herrühren. Haben Sie dort nicht jede Menge Pizzakartons gefunden? Der Lieferservice hat sich bestimmt jedes Mal über die weite Anreise gefreut. Ein Gemüsekorb vom Nachbarn hätte ihm da besser getan.«
    Kristina überlegte, ob ihr das weiterhalf. Aber offenbar hatte Dr. Lorenz die Wahrheit gesagt.
    »Wozu dient das Bauchfett?«
    Dr. Wuppermann hob die rechte Augenbraue. »Im Allgemeinen und abgesehen davon, dass es in der heutigen Zeit als unästhetisch gilt?«
    Kristina nickte und setzte sich auf den Besucherstuhl. Daniel blieb wie gehabt im Türrahmen stehen. Sie ahnte, wie er über ihre Schulter hinweg den Kontakt zu den Saphiraugen der promovierten Blondine suchte.
    Die ist eine Nummer zu groß für dich, mein Junge.
    Überrascht über diesen Gedanken, sammelte sie ihre Aufmerksamkeit und nickte der Pathologin zu. »Ja, fangen wir damit an.«
    »Prähistorisch gesehen war dieses Fettgewebe ein lebensnotweniger Energiespeicher. Nehmen wir mal an, Sie stranden auf einer einsamen Insel, ohne Vorräte, aber mit ausreichend Trinkwasser. Sie könnten drei, vier Wochen überleben, ohne zu essen, falls Sie mit dem nötigen Hüftgold gesegnet sind. Mangels Nahrungsaufnahme würden die eingelagerten Lipide für die Energiegewinnung sorgen, um das System eine bestimmte Zeit am Laufen zu halten. Die Befeuerung der Zellen funktioniert weiter, solange Fettsäuren unter Oxidation verstoffwechselt werden. Der Körper verbrennt sich selbst, wenn Sie so wollen, bis eben kein Brennstoff mehr vorhanden ist. Fettreserven spielen heutzutage natürlich keine Rolle mehr. Wer Energienachschub braucht, bekommt alles im Supermarkt. Und wer einen überhöhten Stoffwechsel hat, freut sich darüber, essen zu können, ohne zuzunehmen. Die meisten unserer Mitmenschen wären so gesehen froh, wenn ihr Körper mehr verfeuern und weniger speichern würde. Dass man sich dafür in den meisten Fällen einfach nur mehr bewegen müsste, dazu fehlt leider oft die Einsicht.«
    Das war so weit einleuchtend. Niemand musste mehr vor wilden Tieren weglaufen. Das Bauchfett wurde nicht mehr gebraucht, um zu überleben, und die, die es sich leisten konnten, ließen es sich sogar absaugen. Wozu also weidete der Irre den Leuten die Bäuche aus? Getrieben durch eine sexuelle Störung oder eine andere Abartigkeit?
    »Was fängt er mit dem Fett an?«
    »Fragen Sie Eisner oder konsultieren Sie einen anderen Experten«, antwortete Miriam Wuppermann.
    Ja, das hatte sie vor. Doch sie wollte nicht unvorbereitet in dieses Gespräch gehen. »Kommen Sie, Frau Doktor. Wie ich Sie kenne, haben Sie doch eine Theorie für mich.«
    »Ist es vorstellbar, mit dem gestohlenen Fett ein körperliches Defizit auszugleichen?«, fragte Daniel in ihrem Rücken. »So wie ein Vampir Blut trinkt, um zu überleben«, fügte er an. »Kann jemand auf fremdes Fett angewiesen sein, um … eine Sucht zu stillen?«
    Miriam Wuppermann hatte nicht gelacht. Sein Vampirvergleich war ziemlich abgedreht gewesen, aber ein besserer war ihm auf die Schnelle nicht eingefallen. Außerdem hatte Kristina seinen Gedanken aufgenommen. Damit erhielt Daniel gewissermaßen Bestätigung. Seine Überlegung war zwar absurd, ging aber trotzdem in dieselbe Richtung, in die auch Kristina dachte.
    Die Pathologin hatte ihnen abschließend noch einmal empfohlen, mit einem Spezialisten zu sprechen. Sie erwähnte die Möglichkeit einer Autoimmunkrankheit der Schilddrüse, die einen erhöhten Stoffwechsel zur Folge haben könnte. Doch sie warnte davor, daraus ein übermächtiges Verlangen nach Fettzellen abzuleiten. Außerdem, so beteuerte sie, könne sie sich nicht vorstellen,

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