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Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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Erick, der eine Augenbraue hochzog. Da wusste ich, dass auch er die plötzliche Anspannung spüren konnte. Ich war am Siel aufgewachsen, hatte dort überlebt, kannte die Gefahren. Die Gosse erschien mir nicht anders zu sein als zuvor, als Daeriun mich dorthin geholt hatte, damit ich mir die Leichen des Kapitäns der Sturmbö und der Dirne Yvonne anschaute.
    Doch ehe einer von uns etwas sagen konnte, setzte sich die Gruppe in Bewegung.
    Sorrenti und mehrere Protektoren gingen voraus und bahnten sich einen Weg durch die Leichen der Gefallenen und den Müll, den die Besucher des Volksfests zurückgelassen hatten: Masken, zertrampelte Papphörner, Wurfschlangen und Papierschnipsel. Die Verwundeten ließen wir am Sockel der Steinfigur einer geflügelten Frau zurück, die mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen die Hände vor sich faltete. Ihre Schwingen spendeten jenen darunter Schatten.
    Wir gelangten von dem Platz auf die Straßen südlich und östlich – Straßen, die weniger prunkvoll und gepflegt wirkten als die im Händlerviertel, wo sich das mir zugewiesene Anwesen befand. Die Gebäude hier bestanden aus grobkörnigerem Stein, und die Bauweise wirkte anders, älter. Der Stil an sich war derselbe, doch die Häuser besaßen spitzere Winkel und steilere Neigungen. Wir passierten einen Abschnitt, in dem einsame Säulen, die kein Gebäude oder sonst etwas stützten, die Straßen und Ecken säumten.
    Dann wurden die Straßen dunkler, die Steinfassaden schmutziger.
    Ich konnte den Übergang im Blut fühlen, spürte ihn im Fluss. Die Straßen waren größtenteils verwaist. Die Leute, die das Volksfest besucht hatten und von den Chorl auseinandergesprengt worden waren, versteckten sich. Zurückgeblieben waren nur weggeworfene Überreste, bunte Kleidungsstücke oder zerbrocheneKrüge. Die zertrampelten Leichen und niedergemetzelten Toten lagen allesamt auf dem Platz des Steingartens.
    Doch nachdem wir die Säulenstraße hinter uns gelassen hatten, veränderte sich die Beschaffenheit der Leere ringsum. Die Menschen kauerten nicht mehr hinter verschlossenen Türen und Fensterläden, sondern warteten im Schatten, in Gassen und Nischen entlang der Straßen. Ich konnte ihre beobachtenden Augen spüren, konnte ihre Unzufriedenheit, ihre Böswilligkeit schmecken wie verdorbenen Wein, sauer wie Essig.
    Auch die anderen spürten es, denn die Gardisten rückten näher zusammen, und die Protektoren wechselten Blicke. Sorrenti schaute zurück, um sich zu vergewissern, dass wir ihm nach wie vor folgten. Seine Blicke strichen über Marielle und die anderen Begabten, über Brandan und William, über Avrell und Erick; dann schaute er wieder auf die Straße.
    Diese verdunkelte sich weiter, als die Gebäude immer enger zusammenwuchsen und alles dichter und schwärzer wurde, obwohl hoch am blauen, nahezu wolkenlosen Himmel immer noch die Sonne stand. Schließlich bogen wir um eine Ecke und gelangten auf eine breite Straße.
    Und dann standen wir vor dem Wall und dem Tor der Gosse. Die riesigen, metallgefassten Holzflügel ragten mindestens vier Mal so hoch auf wie ich.
    Bei Tageslicht wirkte das Tor viel beeindruckender und stabiler als in der Nacht, in der Daeriun mich in die Gosse geholt hatte.
    Die Gruppe blieb stehen und scharte sich auf der gepflasterten Straße zusammen.
    »Was ist?«, fragte ich, als ich zu Sorrenti trat und sein Stirnrunzeln bemerkte.
    Er wandte sich mir nicht zu. Stattdessen suchten seine Blicke die Oberkante des Walls ab. »Hier sind keine Wachen. Man hätte uns längst zurufen müssen.«
    »Nähern sich diesem Tor oft Leute aus der Gosse?«
    »Nein. Es ist das am wenigsten benutzte Tor des gesamten Walls. Trotzdem ist hier immer eine Patrouille postiert.«
    »Dann wurden die Männer ins Gefecht abgezogen«, meinte Erick hinter uns.
    »Oder bereits von den Chorl überwältigt«, sagte Sorrenti. »So oder so«, fügte er hinzu und drehte sich um, »wir können nicht durch dieses Tor.«
    Ich dachte an Amenkor und den Angriff durch die Ochea, dann an die Attacke hier in Venitte.
    »Doch, können wir«, widersprach ich, ohne mich zu Marielle, Heddan und Gwenn umzudrehen, denn ich fühlte auch so, dass sie bereits vortraten.
    »Was …«, setzte Sorrenti an, erblickte dann aber die anderen Begabten Amenkors, die sich hinter mir einfanden. Er verengte die Augen zu Schlitzen. »Wir können die Chorl nicht mit weniger als dreißig Mann besiegen!«
    »Warum nicht? Was habt Ihr denn geglaubt, das wir hier vorfinden

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