Die Kaempferin
binnen eines Atemzugs. Ich spürte, wie die Welle an ihm emporschwappte und darüber hinwegspülte. Ihr entsetzliches, zorniges Gewicht drückte auf mich wie ein gigantisches, schweres nasses Tuch, das mich zu ersticken drohte. Ich hörte das Knirschen, Rumoren und Poltern von Steinen, als die Gebäude zu beiden Seiten die ärgste Wuchtdes Rückstoßes abfingen und zerschmettert wurden. Steinsplitter spritzten auf die Straße. Ich verspürte einen jähen, kurzen Schmerz, als mich einer der Splitter streifte, hörte hinter mir Schreie und Stöhnen, schmeckte Blut im Fluss. Staub erfüllte erstickend die Luft. Ohne nachzudenken, sog ich sie in die Lunge und begann sogleich zu husten, schirmte die Augen dagegen ab …
Und erblickte Ottul, eine Hand erhoben, die Augen geschlossen, die Züge verkniffen, denn es musste eine ungeheure Anstrengung für sie sein, den Schild aufrechtzuerhalten, während die Welle der Kraft darüber hinwegfegte.
Als das Knirschen und Krachen des Steins verstummte, öffnete sie die Augen und richtete den Blick auf mich. Sie senkte die Hand und neigte den Kopf. Die goldenen Ringe in ihren Ohren glitzerten im Sonnenlicht.
»Ochea«, sagte sie.
Ich erwiderte nichts.
Allmählich lichtete sich der Staub, und jemand stieß hervor: »Beim Hintern der Regentin!«
Ich warf dem Mann einen finsteren Blick zu. Dann drehte ich mich um.
Das Tor stand offen. Eine Seite hing auf einer verbogenen Angel nach innen. Die Mitte war gesprungen und verbeult, als wäre sie von einer Ramme der Größe eines Wagens getroffen worden. Der andere Torflügel war vollends aus dem Stein gerissen worden.
Der Wall selbst schien unversehrt zu sein. Nur an den äußeren Rändern des Bogens zeigten sich einige Sprünge, und an einer Stelle fehlte ein Brocken, nicht größer als mein Kopf. Der schlimmste Schaden war dort aufgetreten, wo das Eisen der Angeln in die Mauer eingelassen gewesen war.
Auch die Gebäude der Gosse zu beiden Seiten waren in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Rückstoß hatte das Haus zur Rechten zum Einsturz gebracht, und von dem Haus zur Linkenstanden nur noch zwei Mauern. Die ungeheure Kraft hatte die Gebäude in Schutthaufen verwandelt.
»Was ist geschehen?«, wollte Erick wissen und kam mit Brandan zu mir.
»Deranians Wall besteht nicht nur aus Stein«, erklärte ich mit tonloser Stimme. »Er schützt sich selbst.«
»Ich frage mich, ob den Chorl am Haupttor dasselbe widerfahren ist«, meinte Brandan.
Mit verengten Augen begutachtete Erick den Schaden; dann richtete er den Blick auf irgendetwas auf der anderen Seite. »Da sind Leichen.«
Mein Magen krampfte sich zusammen, doch bevor ich etwas tun konnte, hatte Erick die Männer bereits vorwärtsgewinkt. Sie strömten über das Geröll, über die Steinblöcke, die auf die Straße gepoltert waren, über den Staub und die Holzsplitter am Tor. Nach einem raschen Blick, um mich zu vergewissern, dass meine Begabten überlebt hatten, folgte ich Erick und den Männern.
Auf der anderen Seite schwärmten die Gardisten aus. In nicht allzu großer Entfernung erklangen Hörner. Ich konnte die Ratskammern, Fürst Marchs kleineren Palast dahinter und die Kasernen für das Protektorat sehen. Am Haupttor kämpften Männer; Blitze zuckten vereinzelt über den Himmel. Daeriuns Streitmacht musste das Tor erreicht haben, während wir in die Gosse vorgedrungen waren. Rauch und Staub stiegen aus jener Richtung in die Luft auf, ebenso in größerer Ferne jenseits des Walls im Norden, wo Fürst March gegen Atlatik focht.
Aber hier am Tor der Gosse herrschte Stille.
Weil alle, die das Tor bemannt hatten, tot waren.
»Sie wurden bereits vor Stunden getötet«, sagte der Befehlshaber von Sorrentis Garde, der neben dem Leichnam eines Mannes kniete. Getrocknetes Blut verklebte den ordentlich gestutzten Bart des Toten und zeichnete sich als rissiges Braun ab. Er war in den Hals gestochen worden.
Sorrentis Befehlshaber lehnte sich zurück und ließ den Blick über das Geröll innerhalb des Walls und die Leichen wandern.
Mindestens zwanzig Tote waren zu sehen.
»Ich nehme an, sie wurden schon bei den ersten Kampfhandlungen getötet, als die Chorl sich im Steingarten zu erkennen gegeben haben«, meinte er. Dann schaute er zu mir und Brandan. »Die Ermordung der Ratsmitglieder, das Auftauchen im Steingarten, die Beseitigung der Wachen hier … es muss ein sorgfältig geplanter Angriff gewesen sein.«
»Von wem geplant?«, fragte Erick. »Und wer hat diese Männer
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