Die Kaempferin
die in der Küche arbeiteten – überwiegend Frauen und Kinder –, allesamt weiße Gewänder ähnlich denen der Palastbediensteten trugen. Alle neigten die Häupter vor mir oder nickten mir zu und schlugen das Zeichen des Geisterthrones vor der Brust.
Der Siel hatte sich verändert. In der Nähe des Flusses waren einige Gebäude bei dem Angriff beschädigt worden, doch der Großteil der Elendsviertel war vor den Kampfhandlungen verschont geblieben. Allerdings waren die Straßen und Gassen, die Nischen und Häuserschluchten ungewohnt sauber. Ich sah keinen Müll, keine Stein- und Geröllhaufen. Das Kopfsteinpflaster war zwar immer noch rissig und uneben, doch sämtlicher Unrat, den ich von meiner Zeit in den Elendsvierteln kannte, war entfernt worden. Zum Teil lag es daran, dass Avrell die alten Steine verfallender Gemäuer beim Wiederaufbau des Lagerhausviertels in der Nähe des Kais verwendete, zumal der Stein hier billiger war als der aus dem Steinbruch und nicht hierher transportiert werden musste. Nur erklärte das nicht alles.
Dann wurde ich auf zwei Milizionäre aufmerksam, jene Männer unter Darryns Befehl, die es übernommen hatten, die Küche und das Lagerhaus während des Winters zu beschützen,und die diesen Schutz nunmehr auf den Rest der Elendsviertel ausweiteten. Ein gefährlich wirkender Gossenstrolch – der mich an das erinnerte, was ich einst gewesen war – trieb sich in der Nähe einer Gassenmündung herum und beobachtete aufmerksam und mit scharfen Blicken die auf der Straße vorbeiziehenden Menschen. Als der Strolch sah, dass ein Mitglied der Bürgerwehr ihn bemerkt hatte, verschwand er wortlos in die Gasse, um sich bessere Jagdgefilde zu suchen.
Die beiden Milizionäre setzten den Weg den Siel entlang fort. Bevor sie außer Sicht gerieten, bemerkte ich, dass auf die Vorderseiten ihrer Hemden das Zeichen des Geisterthrones aufgenäht war.
Während wir auf dem Weg zurück in die Unterstadt von Amenkor die Brücke überquerten und auf den Kai zuhielten, dachte ich darüber nach, was Eryn gesagt hatte: Auch ohne den Thron verkörperst du Amenkor. Für die Menschen bist du im vergangenen Winter zu Amenkor geworden.
»Ihr seid so still«, stellte Brandan fest.
Ich schaute zu ihm und bemerkte, dass er mich aufmerksam beobachtete, wie schon seit Beginn unseres Ausflugs. Ich bedachte ihn mit einem verhaltenen Lächeln. »Es ist hier jetzt anders als damals, als ich hier gelebt habe. Es ist sauberer geworden. Sicherer.«
Brandan drehte sich um, blickte zurück und runzelte grüblerisch die Stirn.
»Was ist mit Euch?«, fragte ich.
»Was meint Ihr?«
»Wo habt Ihr gelebt, bevor Ihr zur Ausbildung zu einem Begabten geschickt wurdet?«
Brandan blieb stumm, und ein bekümmerter Ausdruck huschte über seine Züge. Ich glaubte schon, er würde mir nicht antworten; dann aber setzte er sich im Sattel aufrechter hin und sagte: »Ich bin der vierte Sohn eines Schiffszimmermanns aus Venitte. Mein ältester Bruder sollte beim Tod meines Vatersdessen Arbeit übernehmen, und meine zwei anderen Brüder wurden aus Gefälligkeit meinem Vater gegenüber bei verschiedenen Gilden als Lehrlinge aufgenommen. Ich sollte Seemann auf einem der Schiffe werden, um dessen Kapitän einen Gefallen zu erweisen.« Er blickte auf seine Hände. »Das hätte ich niemals überlebt«, meinte er fast flüsternd. »Es hätte mich umgebracht.«
Ich hatte die Hände der Männer gesehen, die auf den Schiffen arbeiteten. Ihre Haut war rau, sonnengebräunt wie gegerbtes Leder, vernarbt und schwielig. Diesen Männern haftete eine Härte und Ruppigkeit an, wie ich sie mit den Bewohnern des Siels in Verbindung brachte. Abschaum so wie ich.
Brandan mit seiner blassen Haut, seinen fein geschnittenen Zügen und seinem zierlichen Körperbau hätte niemals zu ihnen gepasst.
Als Brandan aufschaute, hatte er ein schiefes Lächeln im Gesicht, und zum ersten Mal seit Beginn unseres Ausflugs kam seine Miene mir offen und ehrlich vor. »Aber nach den ersten paar schauerlichen Reisen fand man heraus, dass ich die Sicht besaß. Und weil Seeleute ein abergläubischer Menschenschlag sind, wollten sie daraufhin nichts mehr mit mir zu tun haben. Dasselbe galt für den Rest meiner Familie. Also wurde ich in den Palast gebracht.«
Wir setzten den Weg zu den Docks in unbehaglicher Stille fort. Brandan betrachtete eingehend die Schäden an der Unterstadt, die von den Chorl angerichtet worden waren, obwohl er sie seit seiner Ankunft bereits etliche Male
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