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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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Mantel, dem Schabbesdeckel und dem weißen Spitzenkragen. Er sah genauso aus wie alle anderen männlichen Bewohner der Judengasse. Kein Wölkchen war an dem schmalen Streifen Himmel zu sehen, der sich über den eng stehenden Dächern der Judengasse auftat. Die Luft flimmerte über den dunklen Pflastersteinen, so heiß war es in der Stadt. Dabei war es noch nicht einmal halb elf. Gleich würden die Gäste eintreffen. Und Rachel, seine künftige Frau.
    Er wusste, dass er Glück hatte. Rachel war eine wirklich gute Partie – ganz im Gegensatz zu ihm. Nach ihrem ersten verunglückten Treffen war sie nach und nach aufgetaut. Sie mochte ein wenig zu ernsthaft sein, etwas zu still. Doch sie war schön und nicht dumm, wenn auch ein wenig spröde. Und die Lazarus’ hatten Geld. Die große Leidenschaft verspürte er nicht, aber jeder sagte ihm, dass das noch kommen würde. Bei einer solchen Schönheit! Welcher Mann konnte da kalt bleiben? Auch ihre Eltern hatte er inzwischen näher kennengelernt. Brunhilde war wirklich eine Glucke, aber allem Anschein nach herzensgut und wie ihre Töchter eine passionierte Reiterin. Und Joel, der Pferdehändler, war sicher der beste Schwiegervater, den man sich wünschen konnte. Ein ungebildeter Mann, der nicht einmal lesen und schreiben konnte, der sich aber mit viel Fleiß hochgearbeitet hatte. Inzwischen ging er beim Kurfürsten von der Pfalz ein und aus und hatte von diesem ein Stück Land bekommen, auf dem er sich ein Gut gebaut hatte. Seit er dem Kurfürsten einen wunderbaren Rappen mit glänzendem Fell verkauft hatte, der schnell zum Lieblingspferd geworden war, hatte er sogar den Status eines Hoffaktors erhalten.
    An dieser Stelle der Geschichte schaltete Gabriel meistens ab, weil er sich kein bisschen um Pferde scherte. Immerhin musste die Familie Lazarus nicht mehr in einer engen Gasse in Worms wohnen. Frische Luft, Natur, die weite Landschaft. Er versuchte Vorfreude bei dem Gedanken zu empfinden, dass auch ihn dieses Leben demnächst erwartete. Was die Eltern von Rachel bewogen hatte, ausgerechnet ihm ihre älteste Tochter zur Frau geben zu wollen, hatte er lange nicht verstanden. Bis ihm klar gew orden war, dass es an ihrer Musikversessenheit liegen musste. Im Gegensatz zu seiner eigenen Familie hatten Joel und Brunhilde Lazarus große Achtung vor ihm, dem Komponisten. Nie vergaßen sie, ihn nach seinen Fortschritten bei den Söhnen Abrahams zu fragen. »Bald wirst du genug Zeit haben, um dich in Ruhe deinem Werk zu widmen«, hatte Joel bei seinem letzten Besuch gesagt.
    Gabriel warf einen Blick auf die neue Taschenuhr, die sein Vater ihm am Vorabend feierlich überreicht hatte. »Für dich, mein Junge«, hatte Doktor Stern mit feuchten Augen verkündet. »Du weißt, diese Uhr hat früher meinem Vater gehört. Er hat sie mir auch zur Verlobung geschenkt. So wie du sie deinem Sohn ebenfalls zur Verlobung schenken wirst.« Sein Vater hatte ihn auf die Stirn geküsst, was er schon seit Jahren nicht mehr getan hatte, und eine Flasche uralten Rotwein aufgemacht, der bereits leicht nach Essig geschmeckt hatte. Er hatte ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, denn solche Stunden der Eintracht zwischen ihnen waren seit seinem Aufenthalt in Venedig selten geworden.
    Ja, dachte Gabriel, es war noch Zeit genug für einen kurzen Abstecher an den Main. Vielleicht wehte dort unten an der Brücke eine leichte Brise, die ihm die Kopfschmerzen vertreiben würde, mit denen er am Morgen erwacht war. Das Gefühl, einen Fehler zu machen, nagte an ihm. Es verdarb ihm die Freude, die er eigentlich an diesem so wichtigen Tag hätte empfinden müssen, wie er fand. Bist das wirklich du?, fragte er sich immer wieder und wunderte sich über seine Mutlosigkeit und Trägheit dem eigenen Schicksal gegenüber. Irgendwie schien ihm sein eigenes Leben aus dem Ruder gelaufen zu sein. Er konnte die Musik dazu im Kopf hören: ein leises Adagio morendo.
    Flink wuselte er sich durch das Gedränge auf der Judengasse, ohne nach rechts und links zu schauen, und hatte schon nach wenigen Minuten das Südtor passiert. Er war nass geschwitzt, als er die Böschung erreichte. Träge schleppte sich der Main dahin. Es waren nur wenige Schiffe unterwegs, auch den Fischern schien es zu heiß zu sein. In der Ferne Richtung Höchst meinte er die Umrisse des Mainschiffes auszumachen, das flussaufwärts fuhr. Wahrscheinlich waren Rachel und ihre Verwandten darauf, dachte er flüchtig. Sein Blick wanderte unter den Brückenbogen, der ihm

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