Die kalte Brut
hoffnungslos fühlte sich Seven van Kees, als sie mit den bisherigen Aufzeichnungen und Unterlagen ihrer Story auf das »Terrarium« zuging, in dem Moe Marxx mit Rundumblick auf seine Schreibknechte und -mägde residierte. Ihr langsamer Schritt war nicht nur eine Folge der durchwachten Nacht.
Moe Marxx saß natürlich schon in seinem allseitig verglasten Büro in der Mitte des großen Saals. Seven sah seinen spiegelblanken Kopf, über irgendwelche Papiere gebeugt.
Entgegen der üblichen Gepflogenheit klopfte Seven an die Glastür ins Allerheiligste. Marxx sah nicht einmal auf. Er haßte es, Zeit mit solchen Höflichkeiten zu verschwenden, und ignorierte sie, wenn jemand sich ihrer bediente.
Seven trat ein.
Ohne aufzusehen, winkte Marxx sie heran. »Kommen Sie schon, van Kees. Zeit ist Geld.«
Seven stutzte. »Haben Sie Augen auf Ihrer ...?« Sie verbiß sich das Wort Glatze. »Oder wie konnten Sie wissen, daß ich es bin?«
Marxx sah noch immer nicht in ihre Richtung. »Sie haben sich heute Morgen offenbar mit Parfüm gewaschen. Ich konnte sie schon riechen, als Sie aus dem Fahrstuhl kamen.«
Seven lächelte verunglückt. Tatsächlich hatte sie den fehlenden Schlaf mit einer Überdosis Kosmetik auszugleichen versucht.
»Reden Sie schon«, verlangte Marxx. »Was gibt's?« Er bot nie jemandem einen Platz an. Es gab in seinem Büro nicht einmal einen Besucherstuhl. Schließlich waren die Leute und er zum Arbeiten hier, nicht zum Herumsitzen und Plaudern.
Immerhin hob er jetzt den Kopf, und Seven van Kees konnte einmal mehr feststellen, daß Moe Marxx nicht nur seiner inneren Einstellung zu allem und jedem wegen abstoßend war. Er war schlicht und ergreifend häßlich - spindeldürr, hageres Gesicht mit bläulichdunklen Bartschatten und tiefliegenden, kohleschwarzen Augen.
»Guten Morgen«, erlaubte sich Seven zu sagen und fügte sogar noch ein freundliches Lächeln an.
»Guten Morgen? Was soll der Quatsch? Was haben Sie da?« Marxx zeigte auf den kleinen Packen, den Seven in Händen hielt.
Sie legte die Sachen auf seinen Schreibtisch. »Deswegen bin ich hier.«
»Ach was.« Marxx langte nach den Unterlagen und sah sie im Eiltempo durch.
»Was soll das sein?« wollte er nach so kurzer Zeit wissen, daß er unmöglich alles gelesen und gesehen haben konnte.
»Eine Story«, sagte Seven. »Eine gute. Die beste seit langem.«
»Seit wann wissen Sie, wie eine gute Story aussieht?«
»Seit ich Ihre Artikel aufmerksam lese.«
»Nicht die schlechteste Antwort«, erwiderte Moe Marxx, und Se-ven sah ihn zum zweiten oder dritten Mal in ihrem Leben etwas tun, das er für Lächeln hielt - seine blassen Lippen zuckten kurz.
»Genug geschleimt«, befand Marxx. »Schießen Sie los.«
Und Seven van Kees berichtete.
Von der vergangenen Nacht. Von dem Auftauchen des vor Jahren verschwundenen Hauses 333, Paddington Street. Davon, daß sie einem Mann namens Darren Secada gefolgt war, der eine unbekannte Frau aus eben diesem Haus geholt und in seine Wohnung gebracht hatte.
Und darüber, daß die beiden in der Wohnung von Unbekannten überfallen worden waren. Die wiederum von der Frau aus dem Pad-dington-Haus getötet worden waren, die sich in eine Fledermaus verwandelt hatte .
Im Grunde wunderte sich Seven, daß sie ihre Geschichte überhaupt bis zu diesem Punkt hatte erzählen dürfen und Moe Marxx sie nicht schon viel früher unterbrochen hatte.
»Sind Sie übergeschnappt?« Marxx' Tonfall klang ruhig, beinahe besorgt - und gerade deshalb beunruhigend, gefährlich. Er griff abermals nach Sevens Unterlagen und zog zielsicher die Fotoausdrucke heraus.
Die Reporterin verzog die Lippen. Diese »Bilder« waren der schwächste Punkt ihrer Geschichte. Denn sie zeigten nichts außer der Umgebung des Hauses, in dem Darren Secada wohnte. Was nicht an ihrem mangelnden Können als Fotografin lag. Und auch nicht an der Ausrüstung. Sie hatte die Digitalkamera überprüft; sie war einwandfrei in Ordnung.
Irgendwie war Seven nicht einmal sonderlich erstaunt darüber, nach allem, was sie in der vergangenen Nacht mit eigenen Augen gesehen hatte .
Wortlos klaubte sie ihre Textentwürfe und die nichtssagenden Fotos zusammen und klemmte sich das Päckchen unter den Arm.
»Was muß ich tun, damit Sie sich die ganze Geschichte anhören?« fragte sie dann herausfordernd, Marxx ganz bewußt von oben herab ansehend.
»Erzählen Sie eine gute Geschichte«, erwiderte der Chefredakteur. »Eine glaubhafte. Eine, die der Linie dieser Zeitung
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