Die kalte Koenigin
andere Hälfte wunderschön wurde. Ihr Umhang glitt ihr von den Schultern, als sie zwischen die beiden anderen Frauen trat und mit ihrem langsamen, fremdartigen Tanz begann. Während sich ihre Schultern bewegten, öffneten sich ihre Hände anmutig, die Handflächen waren auf mich gerichtet, und dann tanzte sie schneller und schneller, bis es so schien, als besäße sie vier Arme, die sich elegant und flüssig bewegten. Ihr Tanz wirkte unzüchtig und heilig, als hätte sie ihn gelernt, indem sie den Tanz der Schöpfung selbst beobachtet hätte. Was wie eine Missbildung ihrer Glieder ausgesehen hatte, erinnerte nun an die Bewegungen eines geschickten Schlangenmenschen, als sie ihren Leib verdrehte, indem ihre Hüften über den Kopf fielen, wobei ihre Beine
in den Knien gebeugt waren und die Zehen in Richtung der Brüste zeigten.
Sie war mehr als ein Mensch. Was auch immer die Plagen ihrem Körper zugefügt haben mochten – das Feuer unter ihrer Haut verlieh ihr ein inneres Leuchten und eine glühende Beschaffenheit, die ich nie zuvor an einer Sterblichen gesehen hatte. Wie der Knabe mit dem Dudelsack rascher zu spielen begann und sich auch der Trommelschlag beschleunigte, so drehte sich Calyx ebenfalls schneller, im Rhythmus der Trommeln, bis sie vor mir herumzuwirbeln begann. Sie drehte sich so schnell, dass ich sie wie im Auge des Sturmes erstarrt sehen konnte.
Indem das Bild durch die Bewegung verschwommen blieb, blickte sie mich direkt an, und da sah ich etwas Schreckliches in ihrer Miene.
Das Wort Plagenjungfrau kam mir in den Sinn.
Sie war die Plagenjungfrau. Ihrem Körper wohnte eine Macht inne, die ihr durch die Plagen verliehen worden war.
Diese Verschleierte, die von den Waldfrauen aufgezogen worden war, verfügte über das zweite Gesicht, und die Plagen hatten ihr noch mehr gegeben.
Sie wurde zu einer Kraft der Natur selbst.
Zu einer Urgewalt.
In ihrem Leib existierte eine neue Plage. Ich konnte sie dort spüren, in dem strahlenden Licht unter ihrer Haut. Während sie tanzte, sah ich jene windähnliche Bewegung, von der bei den Waldfrauen gesprochen und die »Anrufung« genannt wurde – denn dies war kein Hurentanz, sondern ein Ritual, das man hier vor mir durchführte. Dies war ein Tanz der Schöpfung, in dem Calyx Kräfte der Natur in ihren Leib rief, und
durch ihren Leib hindurch. Das Ausmaß ihrer Macht war mir unbekannt, und wenn ich ihre Verschwiegenheit bedachte, so war es ihr möglicherweise nicht einmal selbst bekannt.
Um die Naturkräfte des Waldes zu wissen, bedeutete, den Wahnsinn der Wildnis zu kennen. Die Briary Maids waren solche Wesen – als Hervorbringungen der Marsch- und Moornebel, die am Rande von Dornensträuchern und Dickichten hingen, sagten sie denjenigen, die die Waldwege verlassen hatten, Unheil voraus. Es gab auch noch andere – die namenlosen Energien, die in dem Lehmboden zu spüren waren, inmitten der Farne, Dombüsche und Moore des Waldes. Sie begaben sich nicht oft in Städte oder Dörfer, da ihre Kräfte mehr und mehr schwanden. Die Naturkräfte kamen aus dem Feuer, der Erde, der Luft und dem Wasser, und es mag auch noch andere gegeben haben.
Indem ich Calyx beim Tanzen zusah, entdeckte ich, wie sich ihre Natur in der Bewegung ausdrückte, denn einen Moment lang wirkte sie wie eine wirbelnde Säule aus Staub und Feuer. In diesem Feuer erblickte ich das Gesicht meiner eigenen Mutter, wie es ausgesehen hatte, als die Flammen sie verzehrten; ich sah die Feuerschale in Hedammu, wo ich durch die Python meinen Tod gefunden hatte, und die mich noch immer in meinen Träumen heimsuchte; und ich sah Calyx mit einem Gesicht, das weder missgebildet noch durch ein Mal entstellt war, sondern vollkommen und gesund. Sie blickte mich an, als wäre ich weder ein Vampyr noch bestünde ich überhaupt aus Fleisch, sondern als sei ich ein Schwert, das nur darauf wartete, aus seiner Scheide gezogen und zur Vernichtung genutzt zu werden.
Als die anderen Frauen neben ihr tanzten, während ihre
Umhänge und Kleidungsstücke auf dem Boden lagen, kamen sie mir noch näher. Ihre Brüste drückten sich gegen meine Lippen, und ihre Leiber wanden sich über mir, der ich dalag. Ich fand kein Vergnügen an ihnen, sondern konnte nur zusehen, wie sie als sonderbare Bezahlung der Baronin für mein Leiden ihre Schau aufführten.
Calyx presste sich selbst eng an mich, damit sie mir zuflüstern konnte: »Ich werde zu dir kommen. Du musst uns helfen.«
»Meine Kinder«, sagte ich. Ich war kaum
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