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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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nie vollzogen.«
    Akim winkte angewidert ab. »Der Rabbi soll bei seiner Bibel bleiben. Ich will über meinen Neffen nichts Privates hören. Mit wem er ins Bett steigt – wenn überhaupt –, geht mich nichts an.«
    Ein weiterer Armenier rief vom Tor an der Einfahrt etwas in einer fremden Sprache. Akim sagte: »Meine Leute wollen die Suchscheinwerfer nach Einbruch der Dunkelheit anmachen, aber die Nachbarn beschweren sich bei der Polizei. Jedes Mal, wenn wir sie einschalten, kreuzt die Polizei hier auf, und wir müssen das Licht wieder ausmachen. Was ist das bloß für ein Land, wo ein wohlhabender Mann nicht mal die Mauer seines Grundstücks beleuchten darf? Ich hab den Eindruck, man nimmt es mir übel, dass ich reich bin.«
    Martin sagte: »Vielleicht nimmt man Ihnen übel, wie Sie reich geworden sind.«
    »Sie gefallen mir«, gab Akim zu. »Sie reden mit mir, wie ich in Ihrem Alter mit Leuten geredet habe. Tatsache ist jedenfalls, wenn ich nicht reich geworden wäre, wäre es ein anderer geworden. Viel Geld verdienen war das einzig Sinnvolle, was man machen konnte, als die Sowjetunion auseinander brach – es ging darum, in Gorbatschows Perestroika nicht zu ertrinken, weil nur die Reichen imstande waren, den Kopf über Wasser zu halten. Jedenfalls tragen die USA an alldem Schuld: Amerika hat das alles verursacht, den Zusammenbruch, die Gangster, die Bandenkriege.«
    »Ich glaube, ich versteh nicht ganz, worauf Sie hinauswollen«, sagte Martin.
    »Auf geschichtliche Fakten, Mr. Odum. 1985 hat der saudische Ölminister, der zufällig ein hohes Tier im Ölkartell der OPEC war, der Welt verkündet, dass Saudi-Arabien die Produktion nicht länger begrenzen würde, um die Ölpreise zu halten. Wollen Sie mir etwa erzählen, die Amerikaner hätten nichts damit zu tun gehabt? Acht Monate später waren die Ölpreise um siebzig Prozent gefallen. Die Öl- und Gasexporte haben die Sowjetunion über Jahre, sogar Jahrzehnte über Wasser gehalten. Durch den Sturz der Ölpreise ging es mit der Wirtschaft bergab. Gorbatschow hat mit seinen halbgaren Reformen versucht zu retten, was zu retten war, aber das Schiff ist ihm unter den Füßen weggesunken. Als die Lage sich beruhigte, waren die russischen Grenzen auf den Stand von 1613 geschrumpft. Leute wie ich und mein Bruder haben die Trümmer durchwühlt und die Einzelteile eingesammelt. Wenn es den Massen heute besser geht, dann nur, weil nach und nach wieder Geld geflossen ist. Ha! Es ist eine ökonomische Tatsache, dass Wohlstand nur entstehen kann, wenn es ganz oben reiche Leute gibt, die sich darum kümmern.«
    »Wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie überzeugter Kapitalist geworden.«
    »Ich bin überzeugter Opportunist. Ich habe nicht studiert wie Samat. Was ich kann, habe ich in der Gosse gelernt. Ich denke, der Kapitalismus birgt in sich selbst die Saat seiner eigenen Zerstörung. Schmunzeln Sie nicht, Mr. Odum. Der Übeltäter war euer Henry Ford. Durch die Erfindung des Fließbands und die Massenproduktion seiner Autos hat er die Preise auf ein Niveau gesenkt, das es den Fließbandarbeitern ermöglichte, Konsumenten ihrer eigenen Produkte zu werden. Und durch das Prinzip ›Jetzt kaufen, später zahlen‹ und durch Kreditkarten konnten die Leute Geld ausgeben, bevor sie es verdient hatten. All das hat die protestantische Ethik zerstört, die die Arbeit verherrlichte und zum Sparen aufforderte. Sie werden noch an meine Worte denken, Mr. Odum: Amerika ist auf dem absteigenden Ast. Es dauert nicht mehr lange, dann bricht das Land ebenso zusammen wie die Sowjetunion.«
    »Und was bleibt dann übrig?«
    »Wir. Die Oligarchen.«
    Einer von Akims Leibwächtern kam um das Haus herum auf die Veranda. Er fing Akims Blick auf und tippte mit einem Fingernagel auf das Glas seiner Rolex. Akim wuchtete sich aus seinem Korbsessel.
    »Ich bin mit einem Abgeordneten der Knesset in Peta Tikva zum Essen verabredet«, sagte er. »Hören wir auf, uns wie Ringkämpfer zu umkreisen, Mr. Odum. Wir verschleißen nur unsere Schuhsohlen.«
    Er winkte den Mah-Jongg spielenden Frauen zu und rief etwas auf Armenisch. Dann bedeutete er Martin, ihm zu folgen, und schritt auf den bulligen Geländewagen zu, der mit qualmendem Chromauspuff in der Einfahrt stand. »Wie viel zahlen die Ihnen dafür, dass Sie Samat finden?«, fragte er.
    »Wie bitte?«
    Akim blieb abrupt stehen und beäugte Martin. Wieder nahm seine Miene etwas Bedrohliches an, ohne dass er auch nur einen Muskel bewegte. »Sind Sie

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