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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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suchen sich ihre Aufgaben selbst – sie definieren die Bedrohungen und versuchen dann, sie zu neutralisieren. Bedrohungen, die nicht definiert werden, rutschen durch die Maschen, und wenn sie sich dann plötzlich als Riesenkatastrophe entpuppen, zetern alle Nichtgeheimdienstler, wir hätten wieder mal geschlafen. Aber wir haben nicht geschlafen. Wir haben die Gefahr nur anders definiert.«
    »Es heißt nicht umsonst, ein Kamel ist ein von einem Ausschuss entworfenes Pferd«, sagte Martin. »Meiner Meinung nach ist die CIA vom selben Ausschuss entworfen worden.«
    Benny zuckte die Achseln. »Für mich läuft das alles auf den toten Hund an der Straße im Libanon hinaus, der explodiert ist und meinen Sohn zerfetzt hat. Wenn wir die Arbeit gemacht hätten, für die wir bezahlt wurden, dann hätten wir im Vorhinein von dem mit PETN gefüllten toten Hund gewusst und auch, welcher Terrorist dahinter steckt. Es fällt mir schwer … über diese Realität hinwegzusehen.« Benny erhob sich schwerfällig. »Ich geh jetzt schlafen, wenn’s recht ist. Das Bett in dem Zimmer neben dem Bad hier im Erdgeschoss ist gemacht. Schlafen Sie gut.«
    »Ich schlafe nie gut«, murmelte Martin. Auch ihm fiel es schwer, über den toten Hund hinwegzusehen, der Bennys Sohn zerfetzt hatte. »Ich wache mitten in der Nacht in Schweiß gebadet auf.«
    Bennys Lippen verzogen sich zu einem hässlichen Grinsen. »Berufskrankheit. Dagegen gibt es noch kein Mittel.«
    Am nächsten Morgen brachte Benny Martin nach Jerusalem und setzte ihn am Busbahnhof ab. »Nach Tel Aviv fährt einer alle halbe Stunde«, sagte er. Er gab ihm einen Zettel. »Die Telefonnummer von Akim in Caesarea. Der steht nicht im Telefonbuch. Wäre mir lieb, wenn Sie ihm nicht verraten, von wem sie die haben. Ich höre mich mal wegen der Magnetbänder der Telefongesellschaft um und melde mich, wenn ich was rausfinde. Übrigens: Samat ist nicht in Israel. Die Kollegen vom Shabak sagen, er sei zwei Tage, bevor der Rabbi in Qiryat Arba ihn als vermisst gemeldet hat, nach London geflogen.«
    »Danke, Benny.«
    »Gern geschehen, Dante. Ich hoffe, Sie finden, was Sie suchen.«
    »Ich habe die Segel gesetzt, Benny. Und ich bin dankbar für eine leichte Brise.«
     
    Oben im Ausguck auf der hohen Mauer, die Akim Ugor-Shilows Villa in Caesarea umgab, konnte Martin fast hören, wie die Sonnenstrahlen mit einem Zischen auf das Wasser des Mittelmeers fielen.
    »Tolle Aussicht, nicht?«, sagte Akim, obwohl er mit dem Rücken zum Strand stand, während er seinen Besucher taxierte und überlegte, ob dessen Dreiteiler maßgeschneidert oder von der Stange war. Die sichelförmige Narbe, die über seinem rechten Auge die hohe Stirn durchschnitt und in einer langen Kotelette verschwand, schien bläulich zu schimmern. »Die Israelis halten Sie für einen Iren namens Pippen«, sagte Akim mit starkem russischen Akzent, der träge aus der Tiefe seiner Kehle hervordrang. »Dann ruft mich jemand namens Odum – der Name in dem Pass, mit dem Sie vor einer Woche eingereist sind – aus einer Telefonzelle in Tel Aviv an und bittet, mich besuchen zu können. Natürlich hat es nichts zu bedeuten, welcher Name in einem Pass steht. Also, mein Freund, wie heißen Sie denn nun, Pippen oder Odum?«
    »Die Antwort ist kompliziert –«
    »Machen Sie sie einfach.«
    Martin beschloss, nahe bei der Wahrheit zu bleiben. »Pippen ist ein Deckname, den ich vor Jahren hatte, als ich als freiberuflicher Sprengstoffexperte gearbeitet habe. Odum ist der Name, den ich seitdem benutze.«
    Akims Miene erhellte sich. »Mit Decknamen kenne ich mich aus. In Sowjetrussland hatte jeder einen, der wichtig war. Sagt Ihnen der Name Wladimir Iljitsch Uljanow was? Er war als Lenin bekannt, nach dem Fluss Lena in Sibirien. Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili hat sich Stalin genannt, was Hammer bedeutet, weil er wollte, dass die Leute ihn so sehen. Lew Dawidowitsch Bronstein floh aus dem Gefängnis mit Hilfe eines Passes, der auf den Namen eines seiner Wärter ausgestellt war, einem gewissen Trotzki. Ich selbst bin anders als meine Brüder dem Gulag entgangen, weil ich die Identität eines Taschenspielers namens Melor Semjonowitsch Shitkin angenommen habe. Wissen Sie, wie es im Gulag ist? Die Temperaturen fallen unter minus vierzig Grad, wobei selbst Alkohol gefriert, und du saugst ganz vorsichtig an Wodkaeiswürfeln, damit deine Zunge nicht kleben bleibt. Der Deckname Melor war ein Geniestreich, ohne mich loben zu wollen. Melor ist ein

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