Die kalte Nacht des Hasses
und her gewälzt und bei Mama beschwert, dass sie zu dritt ein Doppelbett teilen mussten, bis Mama schließlich entschieden hatte, dass die Ältere sich mit einem Laken auf den Boden legen sollte. Dort unten war es wirklich kalt und zugig gewesen, und der Verkehr draußen auf der Autobahn hatte sie fast die ganze Nacht wach gehalten.
Gähnend schlüpfte sie in ein T-Shirt und eine Jeans und die nächste Stunde saß sie da und sah zu, wie Mama Sissys Haar teilte und auf Lockenwickler rollte, sodass es später in goldenen Wellen herunterhängen würde. Danach, wenn Sissy in ihrem speziellen Öl gebadet hatte, das nach süßen Gardenien duftete, würde Mama Sissy reichlich Make-up auf das Gesicht auftragen, bis sie aussah wie ein richtiger Filmstar. Einmal hatte sie Sissy sogar falsche Einsteckzähne gekauft, um Sissys Zahnlücke zu verdecken, als sie die vorderen Milchzähne verloren hatte. Manchmal fragte sich die Ältere, wie es wäre, alle diese Sachen zu bekommen. Vielleicht würde sie dann auch weniger hässlich aussehen. Eines Tages, wenn Mama irgendwo unterwegs wäre, würde sie es ausprobieren.
»Kann ich Zeichentrickfilme gucken, während du Sissy vorbereitest, Mama?«, fragte sie nach einer Weile.
»Nein, kannst du nicht. Du weißt, dass dieser Lärm Sissy nervös macht, bevor sie auf die Bühne geht. Was ist nur mit dir los? Lass Sissys Badewasser einlaufen. Und nicht wieder zu heiß, wie letztes Mal.«
Die Wut stieg in der Älteren auf, aber sie wagte kein Widerwort, nicht jetzt. Irgendwann würde sie es ihnen beiden heimzahlen. Sie würde sie auf entsetzliche, schmerzhafte Weise töten, genau wie Freddy Krueger es so gerne tat. Sie erhob sich vom Fußende des Bettes und ging ins Bad nebenan. An Wettbewerbstagen schrie Mama immer die Ältere an, wenn Sissy zickig oder störrisch war, weil sie nicht wollte, dass Sissy sich aufregte und zu weinen anfing, denn dann röteten sich ihre großen blauen Augen und das würde den Juroren auffallen und die Wertung verschlechtern.
Die Ältere gähnte erneut und drehte das Wasser an, sie überprüfte, ob die Temperatur genau so war, wie Sissy es mochte, dann holte sie einen Waschlappen und legte ihn genau so, wie Sissy es wollte, gefaltet auf den Rand der Wanne. Das duftende Badeöl befand sich in einer hübschen Flasche, die geformt war wie ein blauer Delphin, und die Ältere nahm es von der Ablage, öffnete die Kappe, und ließ ein wenig davon in den Wasserstrahl tröpfeln. Das Wasser schäumte und der wundervollste Blumenduft stieg um sie herum auf. Es roch so gut. Irgendwann würde sie sich auch so herrliches Öl kaufen und in ihrem eigenen Bad benutzen, aber keine Gardenien. Sie wollte unter keinen Umständen so riechen wie ihre Schwester.
Sissy tauchte plötzlich in der Tür auf und kreischte: »Mama! Sie ist im Bad und geht nicht raus. Ich muss mein Bad nehmen! Schick sie raus!«
Mama rief aus dem anderen Zimmer der älteren Schwester zu: »Komm sofort raus und lass Sissy ihr Bad nehmen! Was ist heute nur mit dir los? Mein Gott, du bist ja wirklich zu nichts zu gebrauchen.«
Die Ältere trat beiseite und Sissy kam herein, sie verzog ihr hübsches kleines Mündchen zu einem gemeinen Grinsen. »Besser, du hörst auf, Sachen zu tun, wegen der ich diese Krone verliere, sonst kriegst du bloß Schläge.«
»Ich habe doch gar nichts gemacht, Sissy«, flüsterte die Ältere, denn sie wusste, wenn Sissy wütend wurde, dann würde sie schreien und weinen und sagen, die Ältere hätte sie geschlagen oder irgendeine andere Riesenlüge, um Mama wütend auf sie zu machen. Und Mama glaubte sowieso immer Sissy, aber jetzt, wo der Stiefvater nicht mit war und es sehen konnte, musste die Ältere besonders vorsichtig sein, denn Mama würde sie mit einem Bügel auf den Rücken schlagen, wenn Sissy sich über sie beschwerte. Ihre Finger krümmten sich und ihre Fingernägel gruben sich in ihre Handfläche und sie hasste ihre Schwester so sehr, dass ihr ein wenig übel wurde.
Als Sissy in dem seidigen Seifenwasser saß, das so wundervoll roch, trat Mama in die Tür und sagte, sie würde nach unten zum Frühstück gehen. Sie fragte Sissy, was sie gern essen wollte, und wies beide Mädchen an, ja nicht nach draußen zu gehen oder Fremden die Tür zu öffnen.
Während Sissy sich mit dem duftenden Wasser wusch, stand die Ältere am Waschbecken und schaute in Sissys Make-up-Köfferchen aus rosa Plastik. Darin befanden sich lauter kleine Ablagen für Lippenstifte und Rouge und
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