Die kalte Nacht des Hasses
ganzen Leben noch niemanden Bud ein Jungchen nennen hören, nicht einmal seine Mutter. Ich warf Bud einen Blick zu, um zu sehen, ob er Race eine reinhauen würde, aber Bud nickte bloß und schaute weg. Seit dem Mord war er definitiv nicht mehr er selbst.
Ich sagte: »Frauen haben doch die Tendenz, sich ihrem Stylisten anzuvertrauen, oder, Mr Race? Sie erzählen von ihrem Privatleben und gestehen ihre Probleme.«
»Aber sicher, absolut. Ich weiß Sachen, die Sie sich gar nicht vorstellen können.«
O doch, das konnte ich. Nach gestern hielt ich alles Unmenschliche auch hier am See für möglich. »Hat Hilde Ihnen je einen Grund gegeben, zu glauben, sie fürchtete sich vor jemand? Oder dass sie verfolgt oder bedroht würde?«
Race holte tief Luft, dann nickte er.
»Sie hat mir mal von einem Stalker erzählt. Ein echter Irrer, der sie nervte. Glauben Sie, er ist wieder aufgetaucht und hat ihr das angetan?«
»Das wissen wir noch nicht. Was können Sie uns über diesen Mann erzählen?«
»Nicht viel, wirklich. Ich weiß noch, dass sie seinen Namen nie herausbekommen hat, aber sie sagte, er schien immer zu wissen, was sie täte, manchmal sogar, bevor sie es selbst wusste. Sie hat ihn nie gesehen, das war das Unheimlichste, muss ich sagen. Er schickte ihr lauter Geschenke, das war eigentlich ganz nett, zum Beispiel rosa Briefpapier mit ihrem Initial darauf, einem H, und einmal ein Duftblumengebinde mit einer rosa Samtschleife. Darauf dachten wir uns, dass er wusste, dass ihre Lieblingsfarbe rosa war. Na ja, eigentlich Malve.«
Duftblumen? Wo zum Teufel kriegte man denn Duftblumen her? Genau genommen – was waren eigentlich Duftblumen?
Race war noch nicht fertig. »Und er schickte ihr auch Briefe, in denen er alles Mögliche über sie beschrieb, alles, und ich meine wirklich alles, Kleinigkeiten, wo sie zum Mittag gegessen hatte, was sie gegessen hatte, bis zum Salatdressing. Er wusste, wann sie zu mir kam, um ihr Haar machen zu lassen. Ich sage Ihnen, ich fand das schrecklich und habe mir wirklich Sorgen gemacht, bevor er verschwand und sie in Ruhe ließ.«
Bud fragte: »Hat sie bei der Polizei Anzeige erstattet?«
»O ja. In Miami. Sie haben mich befragt, als hätte ich es sein können, was mich nun wirklich beleidigt hat, das kann ich Ihnen sagen. Aber Hilde hat ihnen gleich gesagt, dass ich zu so was ganz sicher nicht fähig wäre. Ich glaube, sie haben auch eine Weile ihr Telefon abgehört, aber das hat nichts gebracht. Sie haben ihn nie erwischt. Er hat einfach aufgehört, sie zu belästigen. Ich weiß nicht, vielleicht hat er ein anderes Mädchen gefunden, dem er folgte.«
»Können Sie sich noch erinnern, wie lange das ging und wie es endete?«
»Die letzte Nachricht, die er getippt hat – und er hat sie immer getippt, manchmal auf Klebezettel oder Namensschilder, ob man es glaubt oder nicht. Sie wissen schon, mit diesen alten Schreibmaschinen, bevor sie Computer erfunden haben, noch ohne Löschen und Einfügen, nehme ich an.«
Bud und ich sahen einander an, während Race fortfuhr: »Darauf stand einfach nur, das wäre sein Abschied, und etwas in der Art, dass er nun alles zu Ende bringen würde, oder sich umbringen, irgend so etwas. Hilde und ich glaubten das nicht für eine Sekunde. Er wollte bloß, dass sie ihn bemitleidete. Sie war ein guter Mensch, und wissen Sie was? Er tat ihr wirklich leid, das hat sie mir gesagt. Sie sagte, sie wünschte, sie könnte ihm helfen, er müsste ein sehr trauriger, unglücklicher Mensch sein, wenn er einer Fremden Liebesbriefe schickte. Ich sagte ihr, sie sollte ihr Mitgefühl nicht an einen Irren wie den verschwenden.«
»Sie hat ihm also nie geantwortet oder irgendetwas getan, was ihn hätte ermutigen können?«
»Sicher nicht, jedenfalls nicht, soweit ich weiß. Ich habe ihr geraten, das alles zu ignorieren und nicht auch noch eine große Sache daraus zu machen, das würde ihn nur ermutigen.«
»Hat dieser Mann auch zu ihr Kontakt aufgenommen, wenn sie nicht in der Stadt war? Ich meine, wenn sie an Wettbewerben außerhalb Floridas teilnahm oder Model-Jobs hatte?«
Race dachte einen Augenblick nach, er nahm die Beine auseinander und legte sie andersherum über Kreuz, dann lockerte er das Haar an seinem Hinterkopf mit den Fingerspitzen auf. »Ich kann mich noch erinnern, dass sie Briefe und Blumen und so bei anderen Wettbewerben erhalten hat, ja.«
»Bei welchen?«
»Ein anonymer Bewunderer hat ihr einen Strauß gelbe Tausendschön und weiße Orchideen
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