Die Kalte Sofie
recht. Dort hinten sitzt er – allein!«
Sofie – zum ersten Mal hatte er sie so genannt.
Allerdings war jetzt definitiv der falsche Zeitpunkt, darüber nachzudenken, ob ihr das gefiel oder nicht.
Jetzt war Handeln angesagt!
Nach außen zielstrebig, innerlich umso wackeliger, näherte sie sich Sieberts Tisch.
»Ich darf doch, Herr Ministerialdirigent?«, sagte sie und hoffte, dass ihr eilig aufgesetztes Lächeln halbwegs gelang. »Dr. Rosenhuth mein Name. Sie erinnern sich sicher.«
Sieberts Überraschung war offensichtlich.
»Sie?«, sagte er unwirsch. »Was machen Sie denn hier?«
Charly Loessl hatte die Gelegenheit genutzt, um sich an einer der hellen Säulen vorbeizuschlängeln und am Tisch hinter Siebert Platz zu nehmen.
»Es gibt neue Ergebnisse«, sagte Sofie. Das Eis, auf das sie sich gerade begab, war dünn. Erschreckend dünn. »Die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.« Plötzlich wünschte sie sich, Joe an ihrer Seite zu haben – auch wenn er ein noch so unverbesserlicher Macho war.
»Da haben Sie Glück, dass Sie mich überhaupt antreffen. Eigentlich schreib ich nämlich an meiner nächsten Rede – und das kann ich nur zu Hause. Aber eine dringende, kurzfristig ein berufene Sitzung … Was soll man da machen. Also, was liegt an?«
»Wir wissen inzwischen, wer der verbrannte Tote in Ihrem Gartenhäuschen war«, setzte Sofie mutig an.
Sieberts Teller mit der Maultaschensuppe war bereits zur Hälfte leer. Daneben standen eine Mineralwasserflasche sowie ein gefülltes Glas.
In dem flächigen Gesicht ihres Gegenübers konnte Sofie keinerlei Regung entdecken. Die breite, leicht gerötete Nase verriet regelmäßigen Alkoholkonsum, die nach unten gezogenen Mund winkel wiesen ihn als jemanden aus, der Menschen und Dinge überwiegend skeptisch zu betrachten pflegte. Auf den Wangen entdeckte sie seltsame inselartige Hautablagerungen, die sie an gestocktes Eiweiß erinnerten.
Auch heute trug er Loden, dieses Mal in gedecktem Grün, was die gerötete Nase noch plastischer wirken ließ. Nein, ein schöner Mann war Konstantin Siebert ganz sicher nicht.
Seine hellen Augen wurden schmal.
»Ein gewisser Jan Schmidt«, fuhr Sofie fort. »Kennen Sie diesen Mann vielleicht?«
»Jan Schmidt?«, wiederholte er gedehnt. Ein gelangweiltes Kopfschütteln. »Sagt mir nichts. Ist er aktenkundig?«
»Das nicht«, sagte Sofie. »Allerdings scheint er in gewissen Kreisen verkehrt zu haben. Unter anderem in der Gay-Sauna in der Säbener Straße.« Sie hatte nicht übertrieben laut gespro chen, die Stimme aber auch nicht gesenkt.
Siebert legte den Löffel ab und griff zur Serviette. Akribisch säuberte er seine Lippen, dann leerte er das Glas bis zur Neige.
»Ein Homo also«, sagte er. »Ist das alles, was bislang ermittelt wurde? Dann wundert es mich freilich nicht, dass die Polizeistatistiken nicht die Quote erreichen, die die Frau Justizministerin gern hätte.«
Mit angehaltenem Atem beobachtete Sofie, wie Charly sich von hinten näherte und ein Haar vom Rücken des Herrn Ministerialdirigenten pflückte. Dann kehrte er geschmeidig zu seinem Tisch zurück.
»Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte!« Siebert stieß seinen Stuhl zurück. »Meine Rede – ich muss mich dringend wieder dransetzen.«
Sofie wartete, bis er ein paar Schritte entfernt war. Dann zog sie ein Tuch aus ihrer Jackentasche, griff damit entschlossen nach dem von Siebert benutzten Löffel und steckte ihn in eines der Plastiktütchen, die sie immer in ihrer Handtasche dabeihatte.
Schließlich wagte sie es, in Charlys Richtung zu schauen.
Sein Blick war voller Anerkennung.
44
Rüdiger
M agisch, der Übergang vom Dunkel der Nacht zum hellen Tag …
In aller Herrgottsfrühe war Sofie heute wach geworden; schon kurz nach fünf hatten die Vögel in der riesigen alten Linde vor ihrem Fenster ein melodisches Morgenkonzert angestimmt.
Was Sofie ihnen in keinster Weise übel genommen hatte, im Gegenteil. Nach dem Dauerregen der letzten Tage war es höchste Zeit, ihrem renitenten Hüftgold energisch zu Leibe zu rücken.
Schwungvoll war sie aufgestanden, hatte sich nach einem doppelten Espresso in ihre Joggingklamotten geworfen und auf ihr Radl geschwungen, das heute ausnahmsweise keine Mucken machte.
Dann war sie runter zur Isar gebrettert und losgelaufen.
Die Belohnung war überwältigend. Wie eine riesige orange goldene Frucht erhob der Sonnenball sich über den kupfernen Dä chern der Stadt und tauchte die gemächlich dahinplätschernde
Weitere Kostenlose Bücher