Die Kalte Sofie
Isar in sanft funkelndes Licht. Leise murmelten kleine Glitzerwellen über den bunten Kieseln. Der Fluss schien glücklich, endlich vom steinernen Korsett der meterhohen Ufermauern befreit zu sein.
Kurz hinter der Braunauer Eisenbahnbrücke musste Sofie dann doch verschnaufen, um dieses Schauspiel andächtig zu genießen. Sie bückte sich lächelnd, suchte sich unter den glatt polierten aquarellfarbenen Steinen einen rosa schimmernden Kiesel aus und ließ ihn über die Wasseroberfläche hüpfen.
Nix war’s. Bereits nach drei Sprüngen machte der Bursche schlapp. Ein zweiter, bläulicher Stein in Pfeilform folgte. Doch auch er versagte völlig. Ein müdes Böglein und Ende. Sofies Ehr geiz erwachte. Fünf Hüpfer waren ja wohl das absolute Minimum!
Diesmal ging sie besonders sorgfältig bei der Auswahl vor. Immerhin – der nächste Stein, ein graues, scheibenförmiges Exemplar, brachte es auf vier muntere Sprünge, bevor er in den Wellen versank.
Dann endlich der perfekte Kandidat, flach, vollendete Ellipse, mit einem Streifen weißen Glimmers.
An was nur erinnerte sie diese grünlich graue Farbe?
Ein Augenpaar blitzte in ihrer Vorstellung auf, dann ein verschmitztes, fast schüchternes Lächeln hinter dem feierlich erhobenen Weinglas.
»Dann würde ich mal sagen: Auf uns zwei partner in crime , Sofie!«
Natürlich hatte Charly Loessl es sich gestern nach ihrem sonderbaren Ausflug in die Staatskanzlei nicht nehmen lassen, sie noch in die nette kleine Trattoria am Wiener Platz zu entführen.
Natürlich hatte sie angesichts der superleckeren Speisekarte alle Diätpläne komplett über den Haufen geworfen.
Und natürlich hatte er ihr, wie immer überaus galant, offiziell das Du angeboten, nachdem sie ihn ein paarmal beinahe instinktiv geduzt hatte.
Nachdenklich wog sie nun den Kiesel in der Hand. Warm schmiegte der samtene Stein sich an ihre Haut.
Charly …
Sie stand kurz davor, sich Hals über Kopf in diesen seltsamen, wunderbaren, liebenswürdigen Polizeireporter zu verlieben, das stand mal fest.
Obacht! Du weißt so gut wie nichts über ihn, meine Liebe, flüsterte die Stimme in ihrem Kopf. Vielleicht legt er es ja genau darauf an und spielt nur den perfekten Gentleman? In erster Linie ist der Mann Journalist und lebt von knalligen Storys, schon vergessen? Da kommt eine wie du wie gerufen.
»Ein Schmarrn«, murmelte Sofie verstockt und schloss die Hand fester um den Stein.
Und wenn die Stimme doch recht hatte?
Zögernd trat Sofie zurück. Dann holte sie entschlossen aus und warf.
Sie traute ihren Augen nicht: Ganze zehnmal hüpfte der Kiesel übers Wasser, bis eine Welle ihn nach dem letzten Sprung beinahe zärtlich verschlang.
Absoluter Rekord!
Tolles Orakel!, höhnte die Stimme in ihrem Kopf. Und jetzt?
Keine Ahnung. Auf jeden Fall ein gutes Zeichen, wenn es nach Sofie ging.
In diesem Moment drang ein gellender Pfiff an ihr Ohr, gefolgt von einer rauen, aufgebrachten Männerstimme.
»Rüdiger! Wo steckst denn nur? Jetzt geh endlich her zum Herrchen, Rüdiger. Komm!«
Verdutzt drehte Sofie sich um.
Ein bulliger Mann Mitte vierzig lief ziellos durchs Gras, die türkisfarbene Trainingshose klitschnass vom Morgentau. Auf der flachen Stirn unter dem stoppeligen Bürstenschnitt glitzerten Schweißperlen. Schwer atmend wandte er sich an Sofie.
»Ham Sie vielleicht meinen Hund gsehn? A deutscher Schäfer, schwarz-grau gestromt, weiße Brust …«
Sofie verneinte. Ratlos strich der Mann sich übers unrasierte Gesicht.
»I versteh des ned. Sonst ghorcht er doch immer. Seit über a halben Stund ruf ich ihn scho.«
»Vielleicht hat er sich verletzt?« Sofie warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Gerade mal sieben, also noch massig Zeit bis zu ihrem Arbeitsbeginn. »Ich helf Ihnen gern beim Suchen, wenns wolln.«
Zögernd nickte er.
Sie teilten sich auf: Sofie durchkämmte die schilfbewachsene Böschung, der Mann das benachbarte Wäldchen gleich links vom Trampelpfad durch die Flussauen.
»Rüdiger!«
Zwischen den Gräsern leere Bierflaschen, aufgerissene Chipstüten, ein liegen gelassenes Badehandtuch. Der übliche Zivilisationsmüll nach warmen Frühlingsabenden. Jedoch: Kein Hund weit und breit.
»Rüdiger!«
Plötzlich erstarb die Stimme des Mannes. Stirnrunzelnd hob Sofie den Blick vom Boden. Ihr Nasenflügel kribbelte.
Irgendwas stimmte da drüben nicht.
Hastig eilte sie zu der Lichtung, von wo sie gerade noch die Stimme des Hundebesitzers vernommen hatte.
Schluchzend beugte der Mann
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