Die Kalte Sofie
weniger. Und die Ampel da vorn ist übrigens rot. Dunkelrot!«
Joe verstummte gekränkt. Granteln, das konnte er besonders gut. Immer schon.
Kapuzinerstraße, Häberlstraße, Goetheplatz.
Plötzlich konnte sie es kaum erwarten, endlich Gewissheit zu bekommen. Ihn vorher einzuweihen machte bis dahin keinen Sinn.
Als Joe vor dem Institut hielt, griff sie behutsam nach ihrer Tasche.
»Is noch ned aller Tage Abend«, sagte sie aufmunternd, während er verstockt vor sich hin schaute.
»Ausgeleierte Kalendersprüch kann ich mir selbst aufsagen«, knurrte er zurück. »Ich brauch endlich einen richtig schönen aufgeklärten Fall. Dringend! Aber das interessiert dich ja eh ned.«
Für einen Augenblick bewegte er den Kopf in ihre Richtung.
Ein Abschiedsbussi? Noch dazu in dieser Frustlaune?
Nein, wirklich ned.
Lieber verabschiedete Sofie sich hastig und stieg aus – zumal gerade ihre Kollegin die Treppe herunterstöckelte, gefolgt von einem säbelbeinigen Fahrradkurier, der kaum hinterherkam.
»Ich weiß es wirklich ned«, rief der Kurier verdrossen Falks mintgrünem Rücken nach. »Ich hab den Kollegen ja selbst schon länger nimmer gsehn.« Sein voluminöser Brustkorb hob und senkte sich, er schien ganz außer Atem.
Ein Leinenkostümchen, das sicherlich nicht von der Stange kam, die Jacke figurbetont, der Rock über den schlanken, wohlgeformten Beinen kniefrei. Und ein Gletscherblick, der von Joes davonbrausendem Dienstwagen zu Sofie glitt.
»Ach, Mittagspause auch schon beendet?«, giftete sie. »Gleitzeit bedeutet nicht, dass man später kommt und früher geht, Frau Rosenhuth. Jedenfalls nicht an meinem Institut!«
Aha. Also waren wir wieder mal am Gefrierpunkt angelangt. Wer oder was für den jähen Stimmungsumschwung verantwortlich war, hatte ganze Arbeit geleistet.
An dem Fahrradkurier konnte es ja wohl nicht liegen, diesem o-beinigen, unscheinbaren Männlein, dem der Schweiß übers Gesicht lief, während er seinen Helm zurechtrückte.
Sofie konnte sich ein Grinsen nur knapp verkneifen. Die Falk – und verliebt? Da wäre ihr bei ihren wilden Assoziationen neulich doch um ein Haar der Gaul durchgegangen.
»Und jetzt muss ich mich sputen. Meine Vorlesung im Walther-Straub-Institut beginnt schon in einer Viertelstunde«, fuhr Frau Dr. Falk fort. »Sie sehen das offensichtlich anders, Frau Kollegin. Aber für mich zählt Pünktlichkeit nun mal zu den wichtigsten Disziplinen, die auch künftige Mediziner zu beherrschen haben.«
Damit stolzierte sie davon.
Sofie passierte den Eingang, wünschte dem Pförtner ein herzhaftes »Mahlzeit!« – eine bayerische Sitte, an die sie sich erst wieder gewöhnen musste – und erreichte aufatmend ihr Kabuff.
»Wenn du wüsstest«, rief sie George zu, dessen edler Schlips den kleinen Raum regelrecht zum Leuchten brachte. »Schau mal, was ich hier habe!«
Den Becher mit den korallenroten Lippenstiftspuren.
Mit garantiert jeder Menge Fingerabdrücke, die sie gleich mal gründlich checken und abgleichen lassen würde …
Zuvor aber musste sie endlich wissen, wer der Halter des toten Schäferhundes von heute früh war. Und dieses Mal würde sie nichts und niemand, nicht einmal ein verwirrender Überraschungsbesuch von Charly davon abhalten.
Ihre Finger flogen über die Tasten. Zum Glück waren die Zugangspasswörter der Polizei nach wie vor dieselben. Ein paar Klicks später war sie bereits auf der richtigen Seite angelangt.
Sie starrte auf den Bildschirm – und stutzte. Wolfgang Gfeiter, geboren 1970, wohnhaft Pilgersheimerstraße.
Gfeiter, Gfeiter …
Plötzlich erschien ein Schriftzug vor ihrem inneren Auge: Spedition Gfeiter – Ihr Umzugsfuchs in München-Giesing . Der Spe diteur, dessen unausgepackte Kartons noch immer ihre Wohnung blockierten und an ihrem Gewissen nagten.
Galten die seltsamen tödlichen Anschläge etwa ihm?
Nachdenklich ließ Sofie den Drehstuhl kreisen.
Aus der Ecke schickte George ein rätselhaftes Lächeln.
48
Deal beim Döner
N achdenklich tuckerte Joe die Deisenhofener Straße entlang. Längst war sein Zorn verraucht. Stille Verzweiflung machte sich nun in ihm breit.
Okay, der von vorn bis hinten klemmende Fall mit dem verbrannten Ukrainer war das eine. Was ihn vorhin viel mehr auf die Palme gebracht hatte, war jedoch Sofies distanziertes Verhalten ihm gegenüber. Himmelsakra!
Sah ganz danach aus, als habe er sie ein zweites Mal verloren – und diesmal für immer. Nur weil sie geglaubt hatte, mal wieder ihren verdammten
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