Die Kalte Sofie
bis auf die langen rotblonden Locken ver blüffend ähnlich sah – und Sofie nur allzu bekannt vorkam: Annamirl. Glücklich Arm in Arm mit einem sympathischen, braun gebrannten jungen Mann, der vergnügt in die Kamera lächelte.
Staunend zog Sofie den beigefügten Brief aus dem Umschlag und las:
Liebstes Schwesterherz,
bitte verzeih, dass ich damals vor einem Jahr einfach so Hals über Kopf abgehauen bin. Du hast dir sicher schrecklich Sorgen um mich gemacht. Aber ich musste einfach alle Zelte hinter mir abbrechen und ganz von Neuem anfangen. Allein.
Ich weiß, dass Du das verstehst. Wenn nicht Du, wer dann?
Inzwischen lebe ich in Neuseeland, zusammen mit Brian. Vor einem Monat haben wir geheiratet. Er ist ein wunderbarer Mann. Wir lieben uns sehr.
Und weißt Du, was das Beste ist? Wir bekommen ein Baby. Ein kleines Mädchen. Dreimal darfst Du raten, wie wir es nennen werden!
Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Dich denke, Susa. Ich hoffe, Du kommst uns bald besuchen.
Es umarmt Dich von ganzem Herzen
Deine Annamirl
57
Alles Gute
D ie Augen so nah, warm und doch fragend. Was ihr außerordentlich gefiel.
Sofie spürte seinen Atem auf ihrer Haut, dann stutzte sie plötzlich. Hatte sie gestern nicht ihr verwaschenes Lieblings schlafshirt angezogen, nachdem die Eisheiligen es nachts prompt wieder kälter hatten werden lassen?
Wahrscheinlich sah sie in dem Ding aus wie eine aus der Form geratene Kartoffel, aber das scherte sie in diesem Moment kein bisschen.
Ihn übrigens auch nicht.
Seine Hände schienen überall. Er wusste, wie man die Lust einer Frau wecken konnte. Immer schon.
Glucksendes Lachen stieg in ihrer Kehle auf, und ein Gefühl, so gelöst, so dahoam, so ungeheuer prickelnd …
Moment mal!
Wieso waren seine Augen auf einmal nicht mehr braun, sondern graugrün? Sie begann heftig zu blinzeln.
Des war doch ned wahr!
Vor Joes vertrautes Gesicht schoben sich andere Züge, schmäler, aber nicht weniger markant: Charly.
Mit einem Ruck fuhr Sofie hoch und öffnete die Augen. Dennoch brauchte sie eine ganze Weile, bis sie wieder wusste, wo sie sich befand.
Ihr Schlafzimmer – endlich ohne Umzugskartons. Wie auch der ganze Rest ihrer Wohnung. Die sperrigen Dinger hatte sie nach der üblen Gfeiter-Geschichte schnellstens ausgepackt und danach entsorgen lassen.
Links von ihr das bestickte Seidenkissen, rechts der edle Herrenschal. Und niemand sonst im Raum außer ein paar Sonnenstrahlen, die die alten Dielen wie Waldhonig schimmern ließen …
» Happy birthday , Sofie!«, sagte sie mit leicht schiefem Lächeln. »Wie jedes Jahr am fünfzehnten Mai. Und die Eisheilige Kalte Sophie, der du deinen Namen verdankst, hat zum Glück nicht allzu schlimm zugeschlagen. Soweit samma inzwischen. Zweimal zwanzig – des hast überlebt. Und ned amoi schlecht. Wenigstens etwas, worauf du stolz sein kannst.«
Sie sprang aus dem Bett, nahm das Handy mit, weil ja jeden Moment die ersten Anrufe kommen konnten, und lief als Erstes wie gewohnt in die Küche.
Auf der Schwelle blieb sie kopfschüttelnd stehen. Nein, den Morgenkaffee konnte sie sich heute schenken. Tante Vroni hatte garantiert schon im Vorderhaus den Geburtstagstisch für sie vorbereitet.
Ein rascher Abstecher links ins Bad.
Zur Feier des Tages cremte Sofie sich mit der Rosenlotion ein, die sie sich neulich als kleinen Trost für das geklaute Fahrrad gegönnt hatte. Roch verdammt lecker, das sündhaft teure Zeug.
Dann die leidige Kleiderfrage. Den zartlila Kaschmirpulli, auf den sie so versessen gewesen war, hatte sie leider nicht mehr bekommen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als auf den weißen Leinenrock und ein türkisfarbenes Shirt auszuweichen, zu dem die neuen Ohrstecker aus dem Dritte-Welt-Laden wunderbar passten. Immerhin: Ohne das Fahrrad konnte sie jetzt zur Abwechslung auch mal Kleider und Röcke tragen, auch wenn die paar Tage in öffentlichen Verkehrsmitteln, die inzwischen hinter ihr lagen, sie bereits bis zur Schmerzgrenze genervt hatten.
Das Handy begann zu brummen. Es ging also los!
Leise Enttäuschung flog über Sofies Gesicht, als sie entdeckte, dass es nur eine SMS war – noch dazu von Erik.
Alles Gute zum Wiegenfest, mein Engel, las sie. Lass dich schön feiern! Aber vergiss dabei nicht, wo dein wahrer Himmel ist – einzig und allein hier bei mir. Erik.
Sie betätigte die Löschtaste.
Es hatte sich ausgeengelt, und zwar endgültig.
Sie schlüpfte in die Sandalen, griff nach der Tasche und einer Jacke und
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