Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kalte Sofie

Die Kalte Sofie

Titel: Die Kalte Sofie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Gruber
Vom Netzwerk:
das letzte böse Gutti ganz brav von selbst geschluckt. Genau, wie ich’s wollte. Weil du ganz genau gewusst hast, dass ich nie mehr lockerlassen werde.«
    Sie strich sich über die rotblonden Haare. Seit einem Jahr waren sie raspelkurz.
    »Wir waren zwei Teile eines Ganzen, Annamirl und ich. Was du ihr angetan hast, du Monstrum, das hast du auch mir angetan. Jeden einzelnen gottverdammten Tag vermiss ich sie. Ich glaub nicht, dass sie noch am Leben ist. Sonst hätt sie sich bestimmt bei mir gemeldet. Und selbst wenn …«
    Ein Knurren drang aus seinem Mund.
    Jedes weitere Wort war verschwendet. Plötzlich lag die Spritze auf ihrem Schoß.
    »Ich könnt es zu Ende bringen«, sagte sie. »Jetzt und hier. Dann hätt ich Annamirl endlich gerächt …«
    Sie fuhr herum.
    Eine blonde Frau mit blitzenden grünen Augen stand hinter ihr.
    »Lieber nicht«, sagte Sofie. »Selbstjustiz ist immer eine ganz schlechte Idee. Deshalb lässt du die Spritze jetzt auch ganz vorsichtig auf den Boden fallen. Dieses Schwein kriegt seine Strafe, das versprech ich dir. Und zwar in einem ordentlichen Gerichtsverfahren!«

56
    Annamirl
    I rgendwo da oben im dichten Blattgrün der Bäume klopfte ein Buntspecht und gab dem konzertanten Tschilpen von Amsel, Drossel, Fink und Star energisch den Takt vor.
    Tanzende Sonnenflecken auf breiten Kieswegen. Duftende Blütenträume in strahlendem Weiß, in Rot und Rosé, Lila und Gelb.
    Der Frühling war weit vorangeschritten.
    Selbst die zwei alten Weiblein, die gerade ihre Gießkannen an einem der kupfernen Brunnen des Ostfriedhofs füllten, hielten kurz inne und blickten versonnen nach oben.
    Zum Träumen blieb Sofie heute allerdings keine Zeit. In die Schwarzenbergstraße 14 konnte man nicht einfach so hereingeschneit kommen, auch nicht als Angestellte des Instituts für Rechtsmedizin. Besuche und Besuchszeiten waren allerstrengstens geregelt. Vor Tagen schon hatte sie sich für den Termin heute anmelden müssen.
    Hastig umrundete sie das Rondell und steuerte den kleinen Seitenausgang neben dem imposanten Kuppelbau der Aussegnungshalle an.
    Viel zu selten kam sie dazu, das Grab ihrer Eltern zu besuchen. An dem zarten Pink der prall gefüllten Pfingstrosen, den Lieblingsblumen ihrer Mutter, hatte sie dann doch nicht vorbeigekonnt. Kaufen, zum Friedhof radln, in die Vase stecken. Noch kurz eine Schweigeminute einlegen und dem Vogelkonzert lauschen.
    Eine sanfte Brise spielte in ihren Haaren. Sie musste an ihren Vater denken, von dem sie die wilde Lockenmähne geerbt hatte.
    Nur schwer konnte sie sich losreißen. Doch der Zeiger ihrer Armbanduhr rückte unerbittlich vor.
    Egal.
    Mit dem Fahrrad würde sie von hier aus gerade mal zehn Minuten brauchen, wenn sie sich ranhielt.
    Eine riesige Herde von Drahteseln war ganz demokratisch vor der rötlichen Ziegelmauer am Beginn der St.-Bonifatius- Straße abgestellt: Rostlauben neben chromblitzenden Luxusgeschöpfen, schlammverspritzte Mountainbikes, schnittige Rennräder, schwere Holländer. Nach ihrem treuen alten Herrenrad hielt Sofie allerdings vergeblich Ausschau.
    Das hatte doch nicht etwa jemand mitgehen lassen?
    Gelassen blies Sofie sich eine Locke aus dem Gesicht. Schmarrn! Wen interessierte schon ein derart heruntergekommenes Vehikel angesichts dieser erlesenen Auswahl?
    Nach konzentriertem Suchen musste sie sich allerdings mit der traurigen Wahrheit abfinden: Aus ihr unerfindlichen Gründen hatte der Dieb sich ausgerechnet ihr stählernes Rösslein geschnappt. Zefix!
    Das Ding hatte ihr zwar immer wieder jede Menge Ärger eingebrockt – und trotzdem: Irgendwie hatte sie an ihm gehangen, das wurde ihr erst jetzt richtig klar.
    Zumal auf ihrem Konto gerade ziemlich Ebbe herrschte. Der Umzug hatte doch mehr verschlungen, als sie ursprünglich ge dacht hatte, und die Miete in Obergiesing war zwar im Vergleich zu anderen Stadtvierteln noch halbwegs zivil, betrug aber trotzdem gut das Doppelte dessen, was sie in Berlin gezahlt hatte. Mit anderen Worten: Ein neues Radl würde erst mal nicht drin sein.
    Aber irgendwie musste sie jetzt weiterkommen, und zwar schleunigst. Wie es aussah, würde ihr vorerst nichts anderes übrig bleiben, als mit den Öffentlichen zu fahren. In Gedanken schickte sie dem Dieb einen saftigen Fluch hinterher und wünschte ihm von Herzen viel Spaß mit den diversen Zicken ihres Velos.
    Sie wandte sich schicksalsergeben um, steuerte die Tramhaltestelle am St.-Martins-Platz an und löste am Automaten zähneknirschend eine dieser

Weitere Kostenlose Bücher