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Die Kalte Zeit

Die Kalte Zeit

Titel: Die Kalte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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bremste so scharf, dass die Steinchen wegspritzten und stieg aus. »Dieser verdammte Mistkerl«, rief er. »Die Nordmanntannen auf den Paletten hat er mit Diesel bespritzt. Die sind auch alle hin!«
    Er musterte Lars kurz, ohne ihn zu begrüßen.
    Vor Gesas Augen tanzten dunkle Pünktchen. Ihre Beine knickten weg. Im Fallen griff sie Halt suchend nach Wolfs Schulter. Er fing sie auf. »Gesa!«
    »Was hast du?« Lars sah sie besorgt an.
    »Mir ist schwindelig.« Gesa blinzelte in das fahle Sonnenlicht. »Ich hätte doch was frühstücken sollen.«
    »Möchtest du, dass wir dich ins Haus bringen?«
    »Nicht nötig. Jetzt geht es schon wieder.«
    Lars wandte sich an Konrad. »Wen haben Sie gemeint, Herr Verhoeven? Von welchem ‚Mistkerl’ reden Sie?«
    Konrad presste die Lippen aufeinander und sah an Lars vorbei. »Es gibt nicht viele attraktive Verkaufsstellen für Weihnachtsbäume in Büttgen. Wir haben jahrzehntelang vor dem Rathaus gestanden. Bis Herbert Graupner auf die Idee kam, uns das Geschäft kaputtzumachen.«
    »Verstehe.«
    »Ich bin ein friedlicher Zeitgenosse.« Konrad verschränkte die Arme. »Aber andere sind nicht bereit, Ruhe zu geben. Andere steigern sich in ihren Hass hinein.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an den Kopf, oberhalb der Schläfe. »Ich hoffe, du kannst mir folgen, Lars. Streng deinen Grips mal an, dann kommst du schon dahinter.«
    Erschreckt sah Gesa ihren Vater an. Fing er wieder an, auf Lars herumzuhacken? Hörte diese alte Geschichte denn nie auf?
    Lars nahm seine Uniformmütze ab und strich sich langsam mit seinen schlanken Fingern durchs Haar. Erst jetzt sah Gesa seinen Ehering, schmal und golden. Er hatte Familie. Natürlich. Wie dumm von ihr, ihn sich immer als Junggesellen vorzustellen.
    »Danke für den Hinweis, Herr Verhoeven«, sagte Lars. »Wir gehen dem nach und melden uns bei Ihnen, wenn es etwas Neues gibt.«
    Gesa konnte ihren Blick kaum von seinem Gesicht losreißen. Immer noch strahlte Lars diese innere Ruhe aus. Er ließ sich von Konrad nicht provozieren, heute so wenig wie damals, als Gesa sich von Lars getrennt hatte.
     
    Zwei Stunden später räumte Gesa Geschirr aus der Spülmaschine. Sie kam mit der Arbeit nicht vorwärts, ihre Glieder waren bleischwer. Das lag nicht nur an der fast durchwachten Nacht. Als noch lähmender empfand sie ihre Gedanken, die sich im Kreis drehten. Wie sollte es weitergehen mit dem Hof? In den letzten Jahren hatten sie gerade so überlebt. Nun, mit den zu erwartenden Einbußen im Weihnachtsgeschäft und den langfristigen Schäden durch den Ernteausfall in den nächsten Wintern, geriet der Betrieb in echte Bedrängnis.
    Vor ihr auf dem Esstisch stand eine Schale aus Nussbaumholz, gefüllt mit Tannensamen. Gesa griff hinein und ließ die braunen Körnchen durch die Finger rinnen, ein Rieseln, ein zartes Geräusch. In jedem von ihnen steckte die Kraft, zu einem hohen, prächtigen Baum zu wachsen. In diesen Samenkörnchen lag die Zukunft von Verhoevens Weihnachtsbaum- und Schnittgrünbetrieb. Zumindest wenn es nach Gesa gegangen wäre.
    Auf dem Boden der Schale fühlte sie einen größeren, harten Gegenstand, rotes Metall blinkte unter den Körnern hervor. Gesa zog eines von Felix’ Matchboxautos hervor. Sie lächelte, wischte es mit einem Küchentuch sauber und stellte es auf Felix’ Platz.
    Vom Hof hörte sie Lärm. Ihre Mutter klapperte laut mit den Eimern. Das hieß soviel wie: Komm runter, ich brauche hier dringend Hilfe. Gesa blickte durchs Küchenfenster. Es waren einige Kundinnen da, die Gesa alle aus dem Dorf kannte. Sie schwatzen miteinander. Die Stimmen klangen aufgeregt, bestimmt diskutierten sie die Ereignisse der letzten Nacht. Ihre Mutter stand nun in der Tür des Hofladens und band Schnittgrün zusammen. Eine Gans war aus dem Gehege ausgebrochen und watschelte laut schnatternd über den Hof.
    Gesa wollte nicht hinunter gehen, sich dem Ansturm der Fragen stellen, dem Mitleid, den Solidaritätsbekundungen. Sie hatte das Bedürfnis, allein zu sein. Sie musste nachdenken.
    Vater glaubte, dass die Zerstörung der Nordmanntannen auf Herbert Graupners Konto ging. Graupner wolle sich nach dem Streit um den Verkaufsplatz an ihnen rächen. Mit Rocco, Graupners Sohn, hatte Gesa als Kind im Sandkasten gespielt. Rocco war etwas jünger als sie und hatte später ein Internat besucht, dann mit einem Studium angefangen. Nun, nach dem frühen Tod seiner Mutter, war er zurückgekommen, vielleicht, um den elterlichen Betrieb zu

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