Die Kammer
schmachtete. Das Dossier über Cayhall war bereits dreißig Zentimeter dick. Obwohl er alles andere als ein Anwalt war, teilte Roland die allgemein vorherrschende Ansicht, daß Sams juristische Möglichkeiten erschöpft waren und er demnächst hingerichtet werden würde. Das konnte Roland nur recht sein, aber er behielt seine Meinung für sich. Für die Verfechter der Vorherrschaft der weißen Rasse war Sam Cayhall ein Held, und Rolands eigene kleine Horde von Nazis war bereits aufgefordert worden, an Demonstrationen vor der Hinrichtung teilzunehmen. Sie hatten keinen direkten Kontakt mit Cayhall, weil er ihre Briefe nie beantwortet hatte, aber er war ein Symbol, und sie wollten aus seinem Tod herausholen, so viel sie nur konnten.
Rolands Nachname, Forchin, war der Name einer CajunFamilie aus der Gegend von Thibodaux. Er hatte keine Sozialversicherungsnummer, hatte nie eine Steuererklärung abgegeben; soweit es die Regierung betraf, gab es ihn nicht. Er besaß drei perfekt gefälschte Pässe; einer davon war ein deutscher und ein weiterer vorgeblich von der Republik Irland ausgestellt. Roland hatte keinerlei Probleme, Grenzen zu überqueren und in Länder einzureisen.
Einer von Rolands früheren Namen, nur ihm selbst bekannt und nie einer lebenden Seele gegenüber erwähnt, war Rollie Wedge. Er war 1967 nach dem Kramer-Anschlag aus den USA geflüchtet und hatte in Nordirland gelebt. Er hatte auch in Libyen, München, Belfast und im Libanon gelebt. 1967 und 1968 war er kurz in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, um die beiden Prozesse gegen Sam Cayhall zu verfolgen. Schon damals reiste er mühelos mit einwandfreien Papieren.
Es hatte ein paar weitere kurze Reisen zurück in die USA gegeben, alle erforderlich wegen der Cayhall-Katastrophe. Aber mit der Zeit machte er sich deshalb immer weniger Sorgen. Vor drei Jahren war er in diesen Bunker gezogen, um die Botschaft des Nazismus zu verbreiten. Er hielt sich nicht mehr für einen Klansmann. Jetzt war er ein stolzer Faschist.
Als er seine morgendliche Lektüre beendet hatte, war er in sieben der zehn Zeitungen auf die Cayhall-Story gestoßen. Er legte die Zeitungen in einen Metallkorb und beschloß, die Sonne zu genießen. Er goß sich mehr Kaffee in seinen Plastikbecher und fuhr mit einem der Fahrstühle vierundzwanzig Meter hoch in die Diele einer der Blockhütten. Es war ein schöner Tag, kühl und sonnig, ohne ein Wölkchen am Himmel. Er wanderte einen schmalen Pfad bergauf, und zehn Minuten später blickte er auf das unter ihm liegende Tal hinab. Die Weizenfelder wogten in der Ferne.
Seit dreiundzwanzig Jahren träumte Roland von Cayhalls Tod. Sie hatten ein Geheimnis gemeinsam, eine schwere Last, die er erst loswerden würde, wenn Sam hingerichtet worden war. Er bewunderte den Mann sehr. Im Gegensatz zu Jeremiah Dogan hatte Sam seinen Eid gehalten und nie geredet. Im Verlauf von drei Prozessen, unter dem Druck von mehreren Anwälten, zahllosen Eingaben und Millionen von Fragen hatte Sam nie klein beigegeben. Er war ein ehrenhafter Mann, und Roland wollte ihn tot sehen. Natürlich war er gezwungen gewesen, Cayhall und Dogan während der ersten beiden Prozesse ein paar Warnungen zukommen zu lassen, aber das war sehr lange her. Dogan war unter Druck zusammengeklappt und hatte geredet und gegen Sam ausgesagt. Und Dogan war tot.
Dieser junge Mann beunruhigte ihn. Wie alle anderen Leute hatte Roland Sams Sohn und seine Familie aus den Augen verloren. Er wußte Bescheid über die Tochter in Memphis, aber der Sohn war verschwunden. Und jetzt das - ein gutaussehender, gut ausgebildeter junger Anwalt aus einer großen, jüdischen Kanzlei war aus dem Nirgendwo aufgetaucht und fest entschlossen, seinen Großvater zu retten. Roland wußte genug über Hinrichtungen, um sich darüber im klaren zu sein, daß Anwälte in letzter Minute alles nur Erdenkliche versuchen. Wenn Sam zu reden gedachte, dann würde er es jetzt tun, und er würde es in Gegenwart seines Enkels tun.
Er trat gegen einen Steinbrocken und sah zu, wie er den Hang hinunter und außer Sicht rollte. Er würde nach Memphis fahren müssen.
Bei Kravitz & Bane in Chicago war der Samstag nur ein gewöhnlicher harter Arbeitstag, aber in der Filiale in Memphis ging es etwas geruhsamer zu. Adam traf um neun Uhr dort ein und fand nur zwei der Anwälte und einen Anwaltsgehilfen bei der Arbeit. Er schloß sich in seinem Büro ein und zog die Vorhänge zu.
Er und Sam hatten am Vortag zwei Stunden gearbeitet, und
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