Die Kammer
Reporters und die im Hintergrund heulenden Sirenen.
Diese Bronze-Jungen waren nicht viel älter, als er gewesen war, als sein Großvater sie umbrachte. Sie waren fünf und er knapp drei, und aus irgendeinem Grund hielt er mit ihrem Alter Schritt. Jetzt war er sechsundzwanzig, und sie wären achtundzwanzig.
Das Schuldbewußtsein schlug ihm hart und tief in den Magen. Es ließ ihn schaudern und schwitzen. Die Sonne verschwand hinter zwei großen Eichen, und als ihre Strahlen durch die Äste fielen, leuchteten die Gesichter der Jungen auf.
Wie hatte Sam das tun können? Weshalb war Sam Cayhall sein Großvater und nicht der von jemand anderem? Wann hatte er beschlossen, sich am heiligen Krieg des Klans gegen die Juden zu beteiligen? Was hatte ihn dazu veranlaßt, von einem harmlosen Verbrenner von Kreuzen zu einem ausgewachsenen Terroristen zu werden?
Adam saß auf der Bank, starrte auf das Denkmal und haßte seinen Großvater. Er fühlte sich schuldig, weil er in Mississippi war und versuchte, dem alten Dreckskerl zu helfen.
Er fand ein Holiday Inn, nahm sich ein Zimmer und rief Lee an, um ihr Bescheid zu sagen. Dann sah er sich die Abendnachrichten der Programme aus Jackson an. Allem Anschein nach war es in Mississippi nur ein heißer Sommertag wie alle andern gewesen, an dem wenig passiert war. Sam Cayhall und sein jüngster Versuch, am Leben zu bleiben, waren das Hauptthema. Alle Sender brachten finstere Kommentare von Gouverneur und Justizminister zu der neuesten Klage, die die Verteidigung am Morgen eingereicht hatte, und beide Männer hatten die endlose Einlegung von Rechtsmitteln gründlich satt. Beide würden unermüdlich dafür kämpfen, daß die Sache durchgezogen wurde, bis der Gerechtigkeit Genüge getan war. Ein Sender begann seinen eigenen Countdown - dreiundzwanzig Tage bis zur Hinrichtung, rasselte der Moderator herunter, als handelte es sich um die Zahl der bis Weihnachten noch verbleibenden Einkaufstage. Die Zahl 23 prangte fett unter dem alten, immer wieder verwendeten Foto von Sam Cayhall.
Adam aß in einem kleinen Restaurant in der Innenstadt. Er saß allein in einer Nische, stocherte in Roastbeef und Erbsen und lauschte dem harmlosen Geplauder um ihn herum. Niemand erwähnte Sam.
Als es dunkel wurde, wanderte er die Gehsteige vor den Läden und Geschäften entlang und dachte daran, wie Sam durch die gleichen Straßen gestrichen war, auf demselben Beton, wie er darauf gewartet hatte, daß die Bombe hochging, und sich fragte, was in aller Welt da schiefgegangen sein mochte. Er blieb an einer Telefonzelle stehen, vielleicht derselben, in der Sam versucht hatte, anzurufen und Kramer zu warnen.
Der Park war verlassen und dunkel. Zwei mit Gas betriebene Straßenlaternen standen am Vordereingang und lieferten das einzige Licht. Adam setzte sich auf den Sockel des Denkmals, unterhalb der Jungen, unterhalb der Messingtafel mit ihren Namen und ihrem Geburts- und Todesdatum. Genau hier, hieß es, waren sie gestorben.
Er saß lange Zeit dort, ohne sich der Dunkelheit bewußt zu sein, erwog Unwägbares, verschwendete Zeit mit sinnlosen Überlegungen darüber, was hätte sein können. Die Bombe hatte sein Leben bestimmt, soviel war ihm klar. Sie hatte ihn aus Mississippi fortgeholt und in einer anderen Welt abgesetzt, mit einem anderen Namen. Sie hatte seine Eltern in Flüchtlinge verwandelt, die vor ihrer Vergangenheit flohen und sich vor ihrer Gegenwart versteckten. Sie hatte seinen Vater getötet, höchstwahrscheinlich jedenfalls, obwohl natürlich niemand sagen konnte, was sonst mit Eddie Cayhall passiert wäre. Die Bombe hatte die entscheidende Rolle gespielt bei Adams Entschluß, Anwalt zu werden, eine Berufung, die er nie gespürt hatte, bevor er von Sam erfahren hatte. Er hatte davon geträumt, Pilot zu werden.
Und jetzt hatte die Bombe ihn zurückgeführt nach Mississippi für ein Unterfangen, das qualvoll war und wenig Hoffnung bot. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde die Bombe in dreiundzwanzig Tagen ihr letztes Opfer fordern, und Adam fragte sich, was danach wohl aus ihm werden würde.
Was mochte die Bombe für ihn außerdem noch in petto haben?
23
I n der Regel ziehen sich Berufungen gegen die Todesstrafe jahrelang hin, gewissermaßen im Schneckentempo, und zwar dem einer sehr betagten Schnecke. Niemand hat es eilig. Es ist eine komplizierte Angelegenheit. Die Schriftsätze, Eingaben, Anträge und so weiter sind dick und mühsam zu lesen. Im übrigen sind die Gerichte ohnehin schon mit
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