Die Kammer
Paragraphen hinzugefügt. Ihm kam eine weitere Idee, und er fand Platz, wo er sie unterbringen konnte. Mit einer Zigarette zwischen den Fingern der rechten Hand hielt er das Dokument in der linken und las es noch einmal durch. Und noch einmal.
Schließlich ging Sam zu seinem Regal und holte behutsam seine alte Royal-Schreibmaschine herunter. Er balancierte sie gekonnt auf den Knien, zog ein Blatt Papier ein und fing an zu tippen.
Zehn Minuten nach sechs klickten die Türen am Nordende von Abschnitt A und wurden geöffnet. Zwei Wärter betraten den Flur. Der eine schob einen Wagen mit vierzehn säuberlich in Fächern gestapelten Tabletts. Sie hielten an Zelle Nummer eins an und schoben das metallene Tablett durch eine schmale Öffnung in der Tür. Der Insasse von Nummer eins war ein magerer Kubaner, der am Gitter wartete, hemdlos und mit rutschender Unterhose. Er griff nach dem Tablett wie ein verhungernder Flüchtling und trug es wortlos zu seiner Bettkante.
An diesem Tag bestand das Frühstück aus zwei Rühreiern, vier Scheiben getoastetem Weißbrot, einer dicken Scheibe gebratenem Speck, zwei kleinen Behältern mit Traubengelee, einer kleinen Flasche Orangensaft und einem großen Plastikbecher mit Kaffee. Das Essen war warm und füllte den Magen, und es hatte den Vorzug, daß es von den Bundesgerichten gutgeheißen wurde.
Sie bewegten sich zur nächsten Zelle, deren Insasse ebenfalls schon wartete. Sie warteten immer, standen immer an der Tür wie hungrige Hunde.
»Sie sind elf Minuten zu spät dran«, sagte der Mann gelassen, als er sein Tablett entgegennahm. Die Wärter sahen ihn nicht an.
»Verklag uns doch«, sagte der eine.
»Ich habe meine Rechte.«
»Mit deinen Rechten kannst du dir den Hintern abputzen.«
»Reden Sie nicht so mit mir. Ich werde Sie verklagen. Das ist eine Beleidigung.«
Die Wärter schoben den Wagen zur nächsten Tür, ohne darauf zu reagieren. Es gehörte zum täglichen Ritual.
Sam wartete nicht an der Tür. Als das Frühstück kam, war er in seiner kleinen Kanzlei eifrig bei der Arbeit.
»Dachte mir, daß du tippen würdest«, sagte einer der Wärter, als er vor Nummer sechs halt machte. Sam stellte langsam die Schreibmaschine aufs Bett.
»Liebesbriefe«, sagte er im Aufstehen.
»Nun, was immer du da auch tippst, Sam, du solltest dich beeilen. Der Koch redet schon von deiner Henkersmahlzeit.«
»Sagen Sie ihm, ich will Pizza aus der Mikrowelle. Aber wahrscheinlich wird er auch die versauen. Vielleicht entscheide ich mich einfach für Hot dogs und Bohnen.« Sam nahm sein Tablett entgegen.
»Liegt ganz bei dir, Sam. Der letzte Bursche wollte Steak und Shrimps. Kannst du dir das vorstellen? Steak und Shrimps in diesem Bau?«
»Hat er sie bekommen?«
»Nein. Der Appetit ist ihm vergangen, und statt dessen haben sie ihn mit Valium vollgestopft.«
»Nicht der schlechteste Abgang.«
»Ruhe!« brüllte J. B. Gullitt aus der Nebenzelle. Die Wärter schoben den Wagen ein Stück weiter den Flur entlang und hielten vor J. B. an, der mit beiden Händen die Gitterstäbe umklammerte. Sie hielten Abstand.
»So fröhlich heute morgen?« sagte einer von ihnen.
»Weshalb könnt ihr Arschlöcher das Essen nicht stillschweigend verteilen? Ich meine, glaubt ihr etwa, wir wollten jeden Morgen aufwachen und den Tag damit beginnen, daß wir uns eure blöden Bemerkungen anhören müssen? Gib mir einfach mein Essen, Mann.«
»Tut uns furchtbar leid, J. B. Wir dachten nur, ihr fühltet euch vielleicht einsam.«
»Da habt ihr falsch gedacht.« J. B. nahm sein Tablett und drehte ihnen den Rücken zu.
»Beleidigte Leberwurst«, sagte der eine, während sie weiterzogen zu jemand anderem, den sie ärgern konnten.
Sam stellte sein Essen aufs Bett und schüttete ein Tütchen Zucker in seinen Kaffee. Rührei und Speck waren nicht Bestandteil seiner täglichen Routine. Er würde den Toast und das Gelee aufheben und im Laufe des Vormittags essen. Den Kaffee würde er ganz langsam trinken, damit er bis zehn Uhr reichte, seiner Draußenstunde mit Bewegung und Sonnenschein.
Er balancierte die Schreibmaschine auf den Knien und machte sich wieder ans Tippen.
13
U m halb zehn war Sam mit seiner Version der Vereinbarung fertig. Er war stolz darauf, sie gehörte zu den gelungeneren Ergebnissen seiner Bemühungen im Laufe der letzten Monate. Während er das Dokument zum letztenmal durchlas, kaute er an einem Stück Toast. Die Schrift war sauber, aber unmodern, das Produkt einer sehr alten Maschine. Die
Weitere Kostenlose Bücher