Die Kandidaten
Wahltag sein
Gipsbein hatte signieren lassen.
»Du bist eine Schwindlerin«, rief Fletcher, noch bevor er das
breite
Lächeln
auf
Lucys
Gesicht
sah
und
die
Limonadenflaschen und Chipstüten, die um sie verstreut waren.
»Ich weiß, Dad, und ich habe es sogar geschafft, eine Mathe-
Arbeit zu verpassen, aber am Montag muss ich zurück in den
Unterricht, wenn ich noch Jahrgangssprecherin werden will.«
»Deswegen hat Grandpa dich also besucht, dieser
verschlagene, alte Habicht«, sagte Fletcher. Er küsste seine
Tochter auf die Wange und betrachtete die Chipstüten, als ein
junger Mann hereinkam und sich nervös auf die andere Seite des
Bettes stellte.
»Das ist George«, stellte Lucy vor. »Er ist in mich verliebt.«
»Schön, dich kennen zu lernen, George.« Fletcher lächelte.
»Es freut mich auch, Sie kennen zu lernen, Herr Senator.« Der
junge Mann streckte seine rechte Hand über das Bett.
481
»George führt meinen Wahlkampf für das Amt der
Jahrgangssprecherin«, sagte Lucy. »George glaubt, das
gebrochene Bein bringt mir viele Sympathiestimmen. Ich muss
Grandpa nach seiner Meinung fragen, wenn er mich das nächste
Mal besucht. Grandpa ist unsere Geheimwaffe«, flüsterte sie,
»er hat die Opposition bereits in Angst und Schrecken versetzt.«
»Ich weiß nicht, warum ich mir die Mühe gemacht habe, dich
zu besuchen«, scherzte Fletcher. »Ganz offensichtlich brauchst
du mich nicht.«
»Doch, das tue ich, Dad. Könnte ich einen Vorschuss auf mein
Taschengeld vom nächsten Monat bekommen?«
Fletcher lächelte und nahm seine Geldbörse zur Hand. »Wie
viel hat dir dein Großvater gegeben?«
»Fünf Dollar«, meinte Lucy schüchtern. Fletcher zog einen
Fünfdollarschein heraus. »Danke, Dad. Ach, warum ist denn
eigentlich Mom nicht mitgekommen?«
*
Nat erklärte sich bereit, Luke am nächsten Morgen zur Schule
zu fahren. Der Junge war am Vorabend wenig gesprächsbereit
gewesen, fast so, als ob er etwas sagen wollte, aber nicht,
solange beide Elternteile im Raum waren.
»Vielleicht erzählt er dir etwas auf dem Weg zur Schule, wenn
ihr unter euch seid«, sagte Su Ling.
Vater und Sohn machten sich gleich nach dem Frühstück auf
den Weg nach Taft, aber Luke sagte immer noch sehr wenig.
Obwohl Nat versuchte, die Themen Lernen und Schultheater
anzusprechen und sogar wissen wollte, wie es um Lukes
läuferische Ambitionen stand, bekam er nur einsilbige
482
Antworten. Also änderte Nat seine Taktik und schwieg ebenfalls
in der Hoffnung, dass Luke ein Gespräch ankurbeln würde,
sobald er dazu bereit war.
Sein Vater fuhr auf der Überholspur etwas oberhalb der
Geschwindigkeitsbegrenzung, als Luke fragte: »Wann hast du
dich zum ersten Mal verliebt, Dad?« Nat wäre beinahe auf den
Wagen vor ihm aufgefahren, bremste aber noch rechtzeitig ab.
Dann scherte er auf die mittlere Spur.
»Ich glaube, das erste Mädchen, an dem ich ernsthaft
interessiert war, hieß Rebecca. Sie spielte die Olivia. Ich war der
Sebastian in der Schulaufführung.« Er schwieg. »Hast du ein
Problem mit der Julia?«
»Ganz sicher nicht«, erklärte Luke. »Sie ist dämlich – hübsch,
aber dämlich.« Es folgte neuerliches, ausgedehntes Schweigen.
»Und wie weit bist du mit Rebecca gegangen?«, wollte er
schließlich wissen.
»Wir haben uns geküsst, soweit ich mich erinnere«, erzählte
Nat.
»Und wir haben ein wenig Petting gemacht, wie man es
damals nannte.«
»Wolltest du ihre Brüste berühren?«
»Ja, aber sie hat mich nicht gelassen. Ich kam nicht sehr weit,
erst in unserem ersten Jahr am College.«
»Hast du sie geliebt, Dad?«
»Ich dachte das damals, aber wirklich erwischt hat es mich
erst, als ich deiner Mutter begegnet bin.«
»Dann war Mom die erste Frau, mit der du geschlafen hast?«
»Nein, es gab noch zwei andere Mädchen vor ihr, eine in
Vietnam und eine andere am College.«
»Hast du eine von ihnen geschwängert?«
Nat fuhr auf die rechte Fahrspur und fiel weit unter die
Geschwindigkeitsbegrenzung. »Hast du jemand geschwängert?«
483
»Ich weiß es nicht«, sagte Luke. »Und Kathy weiß es auch
nicht. Aber als wir uns hinter der Sporthalle geküsst haben, habe
ich auf ihrer Bluse eine ziemliche Sauerei hinterlassen.«
*
Fletcher verbrachte eine Stunde bei seiner Tochter, dann fuhr er
nach Hartford zurück. Er war gern mit George zusammen. Lucy
beschrieb ihn als das klügste Kind in der Klasse. »Darum habe
ich ihn auch zu meinem
Weitere Kostenlose Bücher