Die Kandidaten
Licht
der Nachmittagssonne an die Dunkelheit der Kathedrale zu
gewöhnen, die nur von Kerzen beleuchtet wurde. Er sah den
Mittelgang entlang zum Altar, dominiert von einem massiven
Goldkreuz, das mit Halbedelsteinen geschmückt war. Dann
richtete er seine Aufmerksamkeit auf die vielen Reihen an
dunklem Eichenholzbänken, die sich vor ihm im Hauptschiff
erstreckten. Sie waren in der Tat fast leer, wie es Mr Goldblatz
vorhergesagt hatte, abgesehen von vier oder fünf alten Damen
mit schwarzen Schleiern, von denen eine einen Rosenkranz hielt
und murmelte »Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade, der
Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen …«
487
Nat beschloss, sich in den hinteren Teil der Kathedrale zu
setzen. Er sah wieder auf die Uhr. Es war eine Minute nach drei.
Im Gehen wurde er sich bewusst, wie seine Schritte auf dem
Marmorboden hallten. In diesem Moment hörte er eine Stimme
sagen: »Möchtest du beichten, mein Sohn?«
Nat wirbelte nach links und sah einen Beichtstuhl, dessen
Vorhang aufgezogen war. Ein katholischer Priester mit
jüdischem Akzent? Nat lächelte, setzte sich auf die schmale
Holzbank und zog den Vorhang zu.
*
»Sie sehen verdammt schick aus«, sagte der Fraktionsführer, als
Fletcher sich zu seiner Rechten setzte. »Bei jedem anderen
würde ich auf eine Geliebte tippen.«
»Ich habe ja auch eine Geliebte«, erwiderte Fletcher. »Sie
heißt Annie. Übrigens werde ich gegen 14 Uhr gehen müssen.«
Ken Stratton sah auf die Tagesordnung. »Von mir aus gern.
Abgesehen vom Bildungsgesetz scheint es nicht viel zu geben,
wo Sie dabei sein müssten, außer vielleicht bei der Entscheidung
über die Kandidaten für die nächste Wahl. Wir gehen alle davon
aus, dass Sie erneut für Hartford kandidieren wollen, falls Harry
keine Pläne für ein Comeback geschmiedet hat. Wie geht es dem
alten Haudegen?«
»Ein wenig besser«, meinte Fletcher. »Er ist rastlos, mischt
sich in alles ein, ist reizbar und verhält sich starrsinnig.«
»Also hat er sich nicht geändert«, scherzte Ken.
Fletcher begutachtete die Tagesordnung. Er würde nur das
Thema Sponsoring verpassen und dieser Punkt stand schon seit
seinem allerersten Tag als Senator auf jeder Tagesordnung und
488
würde dort auch noch lange nach seinem Ausscheiden aus dem
Amt aufzufinden sein.
Um 12 Uhr mittags rief der Fraktionsführer zur Ordnung und
bat Fletcher, seinen Zeitplan für das Bildungsgesetz vorzulegen.
In den nächsten dreißig Minuten umriss Fletcher seine Eingabe
und ging in beträchtlicher Genauigkeit auf jene Klauseln ein, bei
denen er einen Einspruch der Republikaner erwartete. Nach fünf
oder sechs Fragen von seinen Kollegen wurde Fletcher klar,
dass seine gesamten juristischen und rhetorischen Fähigkeiten
gefordert sein würden, wenn er dieses Gesetz durch den Senat
bringen wollte. Die letzte Frage kam erwartungsgemäß von Jack
Swales, dem dienstältesten Mitglied des Senats. Er stellte immer
die letzte Frage und das war dann das Zeichen, dass man mit
dem nächsten Punkt der Tagesordnung fortfahren musste.
»Wie viel wird das den Steuerzahler kosten, Herr Senator?«
Einige Senatsmitglieder grinsten, während Fletcher das
übliche Ritual abspulte: »Das wird vom Budget abgedeckt, Jack,
da es bei der letzten Wahl Teil unseres Wahlprogramms war.«
Jack lächelte und der Fraktionsführer erklärte: »Zweiter Punkt
der Tagesordnung: die Kandidaten für die nächste Wahl.«
Fletcher hatte eigentlich geplant, sich leise aus dem Saal zu
schleichen, sobald die Diskussion in Gang gekommen war, aber
Ken überraschte ihn mit der Ankündigung: »Mit großem
Bedauern möchte ich meine Kollegen davon in Kenntnis setzen,
dass ich für die nächste Wahl nicht mehr zur Verfügung stehen
werde.«
Fletcher wurden die unmittelbaren Folgen von Kens
Entscheidung klar: Nun war er der Favorit für das Amt des
Fraktionsführers. Als sein Name aufgerufen wurde, stellte
Fletcher klar, dass er für eine Wiederwahl zur Verfügung stand.
Er glitt aus dem Saal, als Jack Swales gerade zu seiner Rede
ansetzte, warum er es seiner Meinung nach als seine Pflicht
489
erachtete, sich im Alter von 82 Jahren zur Wiederwahl zu
stellen.
Fletcher fuhr die halbe Meile zum Krankenhaus und stieg die
Stufen in den zweiten Stock zu Fuß hoch, anstatt auf den
Aufzug zu warten. Er trat in das Zimmer und fand Harry, wie er
einem aufmerksamen Publikum, das aus zwei Personen bestand,
das
Weitere Kostenlose Bücher