Die Kandidaten
fügte hinzu: »Glaub mir, ich hatte
keine Ahnung …«
»Du bist ein Lügner«, sagte Nat.
»Auf ihm bleiben«, befahl der Regisseur dem ersten
Kameramann.
»Alle vier Kameras laufen weiter. Ich will das aus jeder
Einstellung.«
»Wie meinst du das?«, fragte Elliot.
»Du hast die ganze Sache eingefädelt. Du bist dabei nicht
einmal subtil vorgegangen – du hast sogar denselben Mann
benutzt, der mich vor zwei Wochen zum Cedar-Wood-Projekt
angeprangert hat. Aber ich sage dir eines, Ralph Elliot«, er wies
mit dem Finger auf ihn, »ich werde dir trotzdem den Todesstoß
versetzen.«
Nat stürmte von der Bühne. Su Ling wartete bereits hinter den
Kulissen auf ihn. »Komm, kleine Blume, ich bringe dich nach
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Hause.« Tom stieß zu ihnen, als Nat gerade den Arm um seine
Frau legte.
»Es tut mir Leid, Nat, aber ich muss das fragen«, entschuldigte
sich Tom. »Entspricht irgendetwas von diesem Mist der
Wahrheit?«
»Es ist alles wahr«, erwiderte Nat. »Und bevor du fragst: Ich
wusste das schon seit unserer Hochzeitsreise.«
»Bring Su Ling nach Hause«, riet Tom. »Und sprich unter gar
keinen Umständen mit der Presse.«
»Lass es gut sein«, sagte Nat. »Du kannst eine Presseerklärung
herausgeben, dass ich vom Wahlkampf zurücktrete. Ich lasse
meine Familie nicht noch mehr durch den Schmutz ziehen.«
»Triff jetzt keine übereilte Entscheidung, die du später bereuen
könntest. Lass uns nachher darüber reden, was wir morgen früh
tun müssen«, entgegnete Tom.
Nat nahm Su Ling an die Hand und verließ mit ihr das Studio
durch eine Tür, die auf den Parkplatz führte.
»Viel Glück«, rief einer seiner Anhänger, als Nat seiner Frau
die Wagentür öffnete. Er reagierte auf keinen der Zurufe,
sondern fuhr mit seiner Frau rasch davon. Dabei sah er zu Su
Ling, die wütend auf das Armaturenbrett einschlug.
»Wie hat Elliot es herausgefunden?«
»Wahrscheinlich hat er ein Team von Privatdetektiven auf
meine Vergangenheit angesetzt.«
»Und als er nichts über dich finden konnte, hat er seine
Aufmerksamkeit mir und meiner Mutter zugewandt«, flüsterte
Su Ling. Lange herrschte Schweigen, dann fügte sie hinzu: »Ich
will nicht, dass du dich vom Wahlkampf zurückziehst. Du musst
im Rennen bleiben. Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir
diesen Bastard schlagen können.« Nat erwiderte nichts, während
er in den Abendverkehr schwenkte. »Es tut mir nur Leid um
Luke«, sagte Su Ling schließlich.
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»Er wird alles persönlich genommen haben. Wäre doch nur
Kathy noch einen Tag länger geblieben.«
»Ich kümmere mich um Luke«, versprach Nat. »Du holst am
besten deine Mutter und bringst sie über Nacht zu uns.«
»Ich rufe sie an, sobald wir zu Hause sind«, sagte Su Ling.
»Möglicherweise hat sie nicht einmal ferngesehen.«
»Keine Chance«, meinte Nat, als er in die Auffahrt bog. »Sie
ist mein treuester Fan und verpasst keinen meiner
Fernsehauftritte.«
Nat legte den Arm um Su Ling, als sie auf die Haustür
zugingen. Im Haus brannte kein Licht, außer in Lukes Zimmer.
Nat steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür und sagte:
»Ruf deine Mutter an. Ich sehe schnell nach Luke.«
Su Ling ging zum Telefon im Flur, während Nat langsam die
Treppe hochstieg und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er
wusste, Luke würde auf jede Frage eine wahrheitsgemäße
Antwort erwarten. Er ging den Flur entlang und klopfte leise an
die Tür seines Sohnes. Es kam keine Antwort, also versuchte
Nat es erneut und rief: »Luke, darf ich hereinkommen?« Immer
noch keine Antwort. Er öffnete die Tür einen Spalt breit und sah
hinein, aber Luke war nicht im Bett und keins seiner
Kleidungsstücke lag wie üblich ordentlich gefaltet über dem
Stuhl. Nats erste Reaktion war, dass Luke zu seiner Großmutter
geflüchtet sein musste. Er machte das Licht aus und lauschte,
wie Su Ling mit ihrer Mutter sprach. Er wollte gerade zu ihr
nach unten, als ihm auffiel, dass Luke das Licht im Badezimmer
hatte brennen lassen. Er beschloss, es auszuschalten.
Nat ging zum Bad und stieß die Tür auf. Einen Augenblick
lang starrte er reglos zu seinem Sohn hoch. Dann fiel er auf die
Knie, unfähig, noch einmal aufzusehen, obwohl er wusste, dass
er Lukes baumelnden Körper herunterholen musste, damit das
nicht die letzte Erinnerung wäre, die Su Ling von ihrem einzigen
Kind hätte.
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*
Annie nahm den Hörer ab und lauschte. »Es ist für dich. Charlie
vom Courant
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