Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
mich zu überzeugen.
»Gut«, sagte sie schließlich. »Ich wollte Carter etwas sagen, aber es hat irgendwie nicht geklappt. Deswegen erzähle ich es dir. Es ist das Letzte, was ihr noch braucht, um Seth aufzuhalten –«
»Du kannst unmöglich seinen geheimen Namen wissen.«
Zia wich meinem Blick nicht aus. Vielleicht lag es an der Feder der Wahrheit, aber ich war mir sicher, dass sie nicht bluffte. Sie wusste Seths geheimen Namen tatsächlich. Oder glaubte es zumindest.
Ehrlich gesagt hatte ich, als ich hinten im Führerhaus lag, Gesprächsfetzen zwischen Carter und ihr mitgehört. Ich hatte sie nicht belauschen wollen, aber es ließ sich kaum vermeiden. Ich musterte Zia und versuchte mir vorzustellen, dass sie Nephthys beherbergte, aber es ergab einfach keinen Sinn. Ich hatte mit Nephthys gesprochen. Sie hatte mir erzählt, dass sie weit weg in einer Art schlafendem Gastkörper war. Und Zia saß doch direkt hier neben mir.
»Es wird funktionieren« beharrte Zia. »Aber ich kann es nicht selbst tun. Es ist deine Aufgabe.«
»Warum benutzt du den Namen nicht?«, wollte ich wissen. »Weil du deine ganze Zauberkraft aufgebraucht hast?«
Sie tat die Frage mit einer Handbewegung ab. »Versprich mir einfach, dass du den Namen jetzt benutzen wirst, bei Amos, und zwar bevor wir den Berg erreichen. Vielleicht ist es eure einzige Chance.«
»Und falls du dich irrst, verspielen wir vielleicht unsere einzige Chance. Das Buch verschwindet, sobald man es benutzt hat, oder?«
Zia nickte widerwillig. »Sobald es gelesen wurde, verschwindet das Buch und taucht irgendwo anders auf der Welt wieder auf. Und wenn du jetzt noch länger wartest, sind wir verloren. Falls Seth euch in das Fundament seiner Macht lockt, wirst du niemals die Kraft aufbringen, ihm entgegenzutreten. Sadie, bitte –«
»Verrat mir den Namen«, antwortete ich. »Ich verspreche, dass ich ihn zur richtigen Zeit einsetzen werde.«
» Jetzt ist der richtige Zeitpunkt.«
Ich zögerte und hoffte, dass Isis mir ein paar weise Ratschläge geben würde, die Göttin schwieg sich jedoch aus. Ich weiß nicht, ob ich nachgegeben hätte. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich mich auf Zias Plan eingelassen hätte. Doch bevor ich diese Entscheidung treffen konnte, öffneten sich die Türen des Lasters und Amos und Carter kletterten herein und brachten jede Menge Sand mit.
»Wir sind ganz nah.« Amos lächelte, als wäre das eine gute Nachricht. »Sehr, sehr nah.«
36.
Unsere Familie löst sich in Dampf auf
Ungefähr einen Kilometer vor dem Camelback Mountain fuhren wir in einen Bereich absoluter Ruhe hinein.
»Das Auge des Sturms«, vermutete Carter.
Es war gespenstisch. Rings um den Berg wirbelte ein Zylinder aus schwarzen Wolken. Vom Gipfel schwebten Rauchfäden zu den Rändern des Strudels und wieder zurück – es sah wie die Speichen eines Wagenrades aus. Direkt über uns war der Himmel jedoch klar. Er färbte sich allmählich grau und in Kürze würde die Sonne aufgehen.
Die Straßen waren leer gefegt. Am Fuße des Berges drängten sich Villen und Hotels, allesamt dunkel; der Berg selbst jedoch leuchtete. Habt ihr schon mal eure Hand über eine Taschenlampe gehalten und betrachtet, wie die Haut rot leuchtet? So sah der Berg aus: Etwas sehr Helles und Heißes versuchte sich durch den Berg zu brennen.
»Auf den Straßen rührt sich nichts«, sagte Zia. »Wenn wir versuchen, den Berg hinaufzufahren –«
»Wird man uns sehen«, beendete ich den Satz.
»Was ist mit diesem Zauberspruch?« Carter sah zu Zia. »Du weißt schon … der, den du im Ersten Nomos benutzt hast.«
»Welcher Zauberspruch?«, fragte ich.
Zia schüttelte den Kopf. »Carter meint einen Unsichtbarkeitszauber. Aber ich habe keine Zauberkraft mehr. Ohne die richtigen Bestandteile funktioniert das nicht mal eben so.«
»Amos?«, fragte ich.
Er überlegte. »Ich fürchte, mit Unsichtbarkeit kann ich nicht dienen. Aber ich habe eine andere Idee.«
Ich hatte immer Angst davor gehabt, Vogelgestalt anzunehmen – bis Amos uns in Sturmwolken verwandelte. Er erklärte uns zwar, was er vorhatte, aber ich war trotzdem nervös.
»Keiner wird inmitten eines Sturms ein paar schwarze Wolkenfetzen bemerken«, argumentierte er.
»Aber das ist unmöglich«, wandte Zia ein. »Dieser Sturm beruht auf Magie, Chaosmagie. Wir sollten nicht –«
Amos hielt sein Zaubermesser in die Höhe und Zia löste sich auf.
»Nein!«, schrie Carter, doch dann war auch er verschwunden, an seine
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