Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
Sphinx ist ungefähr dreißig Kilometer vom Flughafen Kairo entfernt.«
»Ungefähr.«
»Aber wir sind doch unmöglich so weit gelaufen.«
Das entlockte Zia tatsächlich ein Lächeln und ich muss zugeben, sie hat wirklich schöne Augen. »An magischen Orten bekommt Entfernung eine andere Dimension, Carter. Das müsstest du doch zwischenzeitlich gelernt haben.«
Sadie räusperte sich. »Und warum ist der Tunnel dann geschlossen?«
»Der Sphinx war bei den Archäologen zu beliebt«, antwortete Zia. »Sie buddelten immer wieder von neuem herum. In den Achtzigern haben sie schließlich den ersten Teil des Tunnels unter dem Sphinx entdeckt.«
»Davon hat mir Dad erzählt!«, rief ich. »Aber er meinte, der Tunnel sei ein Sackgasse.«
»Da hatten wir den Tunnel schon zugemauert. Wir konnten nicht zulassen, dass die Archäologen herausfanden, wie viel sie nicht wissen. Führende ägyptische Archäologen haben vor kurzem die Vermutung geäußert, dass sie erst dreißig Prozent der antiken Ruinen in Ägypten entdeckt haben. In Wirklichkeit haben sie bloß ein Zehntel entdeckt, und zwar nicht mal das interessante Zehntel.«
»Und was ist mit dem Grab von König Tutenchamun?«, protestierte ich.
»Dieser Kinderkönig?« Zia verdrehte die Augen. » Öde . Du solltest dir mal ein paar der wirklich guten Gräber anschauen.«
Das traf mich schon ein bisschen. Da Dad mich nach Howard Carter benannt hat, dem Typen, der das Grab von König Tut entdeckte, hatte ich immer einen persönlichen Bezug zu Tut. Wenn das kein »gutes« Grab war, welches dann?
Zia drehte sich zu den Bronzetüren.
»Dahinter ist der Gang der Zeitalter.« Sie legte ihre Hand auf das Siegel, in welches das Symbol des Lebenshauses geprägt war.
Die Hieroglyphen begannen zu leuchten und die Türen öffneten sich. Mit todernster Miene wandte sich Zia uns zu. »Ihr werdet gleich den Obersten Vorlesepriester kennenlernen. Wenn ihr nicht in Insekten verwandelt werden wollt, benehmt euch lieber.«
14.
Ein Franzose bringt uns fast um
In den letzten Tagen hatte ich eine Menge verrückter Dinge gesehen, aber der Gang der Zeitalter stellte alles in den Schatten.
Doppelte steinerne Säulenreihen stützten eine Decke, die so hoch war, dass man problemlos einen Zeppelin darunter hätte parken können. In der Mitte des Gangs, der so lang war, dass ich, obwohl er hell erleuchtet war, das Ende nicht erkennen konnte, lag ein schimmernder, wasserähnlicher blauer Teppich. Feuerbälle schwebten wie Heliumbasketbälle durch die Luft und änderten die Farbe, sobald sie aneinanderstießen. Außerdem trieben Tausende winziger Hieroglyphensymbole herum, schlossen sich zufällig zu Wörtern zusammen und brachen dann wieder auseinander.
Ich packte ein Paar leuchtende rote Beine.
Sie spazierten über meine Hand, dann sprangen sie herunter und lösten sich auf.
Aber das Allermerkwürdigste waren die Projektionen.
Ich weiß nicht, wie ich sie sonst nennen soll. Zwischen den Säulen links und rechts von uns bewegten sich Bilder, sie wurden scharf, anschließend verschwammen sie wieder wie Hologramme in einem Sandsturm.
»Kommt weiter«, forderte uns Zia auf. »Und seht nicht zu lange hin.«
Es war unmöglich. Auf den ersten sechs oder sieben Metern tauchten die magischen Szenen den Gang in goldenes Licht. Eine strahlende Sonne erhob sich aus einem Ozean. Ein Berg tauchte aus dem Wasser auf und es kam mir vor, als sähe ich die Entstehung der Welt. Riesen durchquerten das Niltal: ein Mann mit schwarzer Haut und einem Schakalkopf, eine Löwin mit blutigen Reißzähnen, eine wunderschöne Frau mit Schwingen aus Licht.
Sadie verließ den Teppich. In Trance griff sie nach den Bildern.
»Bleib auf dem Teppich!« Zia packte Sadies Hand und zog sie wieder in die Mitte des Gangs. »Ihr seht das Zeitalter der Götter. Kein Sterblicher sollte diese Bilder zu lange betrachten.«
»Aber …« Sadie sah sie verständnislos an. »Es sind doch nur Bilder, oder nicht?«
»Erinnerungen«, erklärte Zia. »Und sie sind so mächtig, dass sie deinen Geist zerstören können.«
»Oh«, sagte Sadie kleinlaut.
Wir liefen weiter. Die Bilder wurden silbrig. Ich sah aufeinanderprallende Armeen – Ägypter in Schurzen, Sandalen und Lederrüstung fochten mit Speeren. Ein großer, dunkelhäutiger Mann in rot-weißer Lederrüstung setzte sich eine Doppelkrone auf den Kopf. Das war Narmer, der König, der Ober- und Unterägypten vereint hatte. Sadie hatte Recht: Er sah Dad ein bisschen
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