Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
bestätigte Taweret. »Aber deinen Tempel gibt es nicht mehr. All unsere Tempel sind verschwunden. Du hast jetzt ein nettes Zimmer –«
»Nein«, murmelte Heket. »Die Priester haben bestimmt Opfergaben für mich. Ich muss …«
Sie fixierte mich mit ihren großen gelben Augen und ich konnte mir vorstellen, wie sich eine Fliege fühlen musste, bevor sie von einer Froschzunge erwischt wurde.
»Das ist meine Priesterin!«, rief Heket. »Sie ist gekommen, um mich zu besuchen.«
»Nein, meine Liebe«, erwiderte Taweret. »Das ist Sadie Kane.«
»Meine Priesterin.« Heket tätschelte mir mit ihren glitschigen, durch Schwimmhäute verbundenen Fingern die Schulter und ich gab mir die allergrößte Mühe, nicht zusammenzuzucken. »Fangt ohne mich an, ja? Ich komme später vorbei. Wirst du das im Tempel bitte ausrichten?«
»Ähm, klar«, antwortete ich. »Selbstverständlich, Lady Heket.«
»Gut, gut.« Ihr Blick wurde glasig. »Sehr müde jetzt. Harte Arbeit, daran denken …«
»Ja, meine Liebe«, beruhigte sie Taweret. »Warum legst du dich nicht erst mal ein bisschen hin?«
Sie führte Heket in das nächste freie Zimmer.
Bes sah ihr traurig hinterher. »Ich bin ein schrecklicher Zwerg.«
Vielleicht hätte ich ihm versichern sollen, dass das nicht stimmte, aber mein Hirn war anderweitig beschäftigt. Fangt ohne mich an , hatte Heket gesagt. Und dass sie auf ihre Kraft vertraue.
Mit einem Mal bekam ich kaum noch Luft.
»Sadie?«, fragte Carter. »Was hast du denn?«
»Ich weiß, warum uns die Schriftrolle nicht führt«, erklärte ich. »Ich muss den zweiten Teil des Zauberspruchs lesen.«
»Aber wir sind noch nicht da«, wandte Carter ein.
»Werden wir auch nicht, solange ich nicht den Zauber spreche. Er ist ein Teil der Suche nach Re.«
»Was ist los?« Als Taweret neben Bes auftauchte, wäre der Zwerg vor Schreck fast aus seinem Hawaiihemd gesprungen.
»Der Zauber«, wiederholte ich. »Ich muss auf meine Kraft vertrauen.«
»Ich glaube, sie hat sich bei der Froschgöttin angesteckt«, stichelte Carter.
»Nein, du Schwachkopf!«, erwiderte ich. »Es ist die einzige Methode, Re zu finden. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Hey, Mädel«, mischte sich Bes ein, »wenn du mit diesem Zauberspruch anfängst und wir finden Re nicht, bevor du mit dem Vorlesen fertig bist –«
»Ich weiß. Dann geht der Zauber nach hinten los.« Als ich nach hinten los sagte, meinte ich das ziemlich wörtlich. Wenn der Zauberspruch sein eigentliches Ziel nicht fand, würde mir die Kraft der Sonnenlitanei um die Ohren fliegen.
»Es geht nicht anders«, beharrte ich. »Wir können nicht ewig durch die Gänge irren und Re wird nur erscheinen, wenn wir ihn herbeibeschwören. Wir müssen uns beweisen, indem wir das Risiko eingehen. Ihr müsst mich führen. Ich darf bei den Worten nicht stolpern.«
»Du bist mutig, Liebes.« Taweret hielt die Fackel hoch. »Mach dir keine Sorgen, ich führe dich. Lies deinen Zauber.«
Ich öffnete den zweiten Abschnitt der Schriftrolle. Die Hieroglyphenreihen, die mir zuvor wie zusammenhangslos hingestotterte Wörter vorgekommen waren, erschienen mir plötzlich völlig logisch.
»›Ich beschwöre den Namen des Re‹«, las ich laut, »›den schlafenden König, Gebieter der Mittagssonne, der auf dem Feuerthron sitzt …‹«
Na ja, ihr versteht schon. Ich beschrieb, wie Re sich aus dem Meer des Chaos erhoben hatte. Ich erinnerte daran, wie sein Licht auf das Urland Ägyptens geschienen und das Niltal zum Leben erweckt hatte. Beim Lesen wurde mir wärmer.
»Sadie«, sagte Carter, »du qualmst.«
Schwierig, nicht in Panik auszubrechen, wenn jemand einen solchen Kommentar ablässt, aber Carter hatte Recht. Von meinem Körper stiegen Rauchschwaden auf und bildeten eine graue Säule, die den Gang hinunterschwebte.
»Bilde ich mir das nur ein«, fragte Carter, »oder zeigt der Rauch uns den Weg? Autsch!«
Letzteres sagte er, weil ich ihm auf den Fuß trat; das konnte ich ziemlich gut, ohne die Konzentration zu verlieren. Er kapierte die Botschaft: Klappe halten und weiterlaufen .
Taweret nahm mich am Arm und führte mich vorwärts. Bes und Carter gingen wie Sicherheitsbeamte rechts und links von uns. Wir folgten der Rauchspur zwei weitere Korridore hinunter und eine Treppe hinauf. Die Sonnenlitanei wurde unangenehm warm in meinen Händen. Der Qualm, der von meinem Körper aufstieg, machte die Buchstaben unleserlich.
»Du liest das gut«, lobte Taweret. »Dieser Gang kommt mir bekannt
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