Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
begriff ich, dass Sarah Jacobi ihr Ziel nicht verfehlen würde. Mein Ende würde ebenso schmerzhaft sein wie das von Leonid, der allein am anderen Ende des Tunnels verblutete. Aber es gab nichts, womit ich mich hätte schützen können.
Ein Schatten trat vor mich. Eine bloße Hand fing die Klinge in der Luft ab. Das Eisen färbte sich grau und zerfiel.
Jacobi bekam große Augen. Hastig zog sie ihr zweites Messer.
»Wer bist du?«, wollte sie wissen.
»Walt Stone«, antwortete er. »Aus dem Geschlecht der Pharaonen. Und Anubis, der Gott der Toten.«
Er stellte sich schützend vor mich. Vielleicht sah ich doppelt, weil ich mir den Schädel angeschlagen hatte, aber ich sah die beiden gleich deutlich – beide gut aussehend und stark, beide ziemlich sauer.
»Wir sprechen mit einer Stimme«, sagte Walt. »Vor allem in dieser Angelegenheit. Niemand wird Sadie Kane etwas zuleide tun.«
Er streckte die Hand aus. Der Boden teilte sich zu Sarah Jacobis Füßen und die Seelen der Toten schossen wie Unkraut hervor – Skeletthände, leuchtende Gesichter, Schatten mit Reißzähnen und geflügelte Bau mit ausgefahrenen Krallen. Sie umschwärmten Sarah Jacobi, wickelten sie in Mumienbinden und zerrten sie kreischend in den Abgrund. Der Boden schloss sich hinter ihnen und nichts wies darauf hin, dass Sarah Jacobi jemals existiert hatte.
Die schwarze Schlinge um Amos’ Hals lockerte sich und Seths erfreutes Lachen ertönte. »Das ist doch ganz mein Sohn!«
»Halt den Mund, Vater«, sagte Anubis.
In der Duat sah Anubis mit seinen dunklen verwuschelten Haaren und den wunderschönen braunen Augen aus wie immer, aber ich hatte ihn noch nie so wütend erlebt. Mir wurde klar, dass jeden, der wagte, mir etwas zuleide zu tun, sein voller Zorn treffen und dass Walt ihn nicht zurückhalten würde.
Jaz half Carter aufzustehen. Sein T-Shirt war verbrannt, aber ansonsten schien er unversehrt. Vermutlich war ein Blitz nicht das Schlimmste, was ihm in letzter Zeit zugestoßen war.
»Magier!« Carter schaffte es, groß und selbstsicher dazustehen, und wandte sich sowohl an unsere Initianden als auch an die Rebellen. »Wir dürfen keine Zeit vergeuden. Über uns ist Apophis kurz davor, die Welt zu zerstören. Ein paar tapfere Götter halten ihn auf – uns zuliebe, Ägypten und der Welt der Sterblichen zuliebe, aber sie schaffen es nicht allein. Jacobi und Kwai haben euch getäuscht. Bindet den Obersten Vorlesepriester los. Wir müssen zusammenarbeiten.«
Kwai knurrte. Zwischen seinen Fingern zeigten sich rote Strombögen. »Niemals. Wir beugen uns den Göttern nicht.«
Ich rappelte mich auf.
»Hört auf meinen Bruder«, sagte ich. »Ihr traut den Göttern nicht? Sie helfen uns schon, in diesem Moment. Apophis hingegen will, dass wir einander bekämpfen. Was glaubt ihr, warum euer Angriff auf heute Morgen gelegt wurde, auf den gleichen Zeitpunkt, zu dem sich Apophis erhebt? Jacobi und Kwai haben euch hintergangen. Der Feind steht direkt vor euch.«
Jetzt drehten sich selbst die rebellischen Magier um und starrten Kwai an. Die restlichen Seile fielen von Amos ab.
Kwai lachte höhnisch. »Du kommst zu spät.«
Seine Stimme surrte vor Energie. Sein Gewand färbte sich von blau zu blutrot. Seine Augen leuchteten, seine Pupillen wurden schmal wie bei einem Reptil. »Selbst in diesem Moment vernichtet mein Gebieter die alten Götter und fegt die Fundamente eurer Welt hinweg. Er wird die Sonne verschlucken. Und ihr alle werdet sterben.«
Amos stand auf. Rings um ihn wirbelte roter Sand auf, aber jetzt hatte ich keine Zweifel mehr, wer das Kommando hatte. Seine weißen Gewänder schimmerten vor Energie. Der Leopardenumhang des Obersten Vorlesepriesters leuchtete auf seinen Schultern. Er streckte seinen Zauberstab vor, vielfarbige Hieroglyphen schwirrten durch die Luft.
»Lebenshaus«, rief er. »Der Krieg beginnt!«
Kwai wehrte sich aus Leibeskräften.
Vermutlich passiert das, wenn die Schlange des Chaos in deine Gedanken eindringt und dich mit grenzenloser Wut und Magie erfüllt.
Kwai schickte eine Reihe schwarzer Blitze durch den Raum, die meisten Magier wurden umgerissen, auch seine Anhänger. Isis muss ihre schützende Hand über mich gehalten haben, denn mir konnten die Stromstöße nichts anhaben. Auch Amos in seinem wirbelnden roten Tornado schienen sie nicht zu beeinträchtigen. Walt schwankte, aber nur ganz kurz. Selbst Carter in seinem geschwächten Zustand konnte die Blitze mit seinem Pharaonenkrummstab abwehren.
Die
Weitere Kostenlose Bücher