Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
man abgefangen. Er blickte in die falsche Richtung (zumindest sah es für mich so aus), ließ seinen Zauberstab durch die Leere sausen und brüllte dem Nichts Befehle zu.
Ich hoffte, dass wir Apophis schwächten, wenn wir ihn zwangen, gegen so viele von uns gleichzeitig zu kämpfen, aber ich sah keinerlei Anzeichen dafür, dass die Energie der Schlange nachließ.
»Er trennt uns!«, rief Sadie. Obwohl sie direkt neben mir stand, schien sie von der anderen Seite eines tosenden Windkanals zu sprechen.
»Halt dich fest!« Ich hielt ihr den Pharaonenkrummstab entgegen. »Wir müssen zusammenbleiben!«
Sie packte das andere Ende des Stocks und wir kämpften uns vor.
Je näher wir dem Kopf der Schlange kamen, umso anstrengender wurde jede Bewegung. Es kam mir vor, als würden wir durch Schichten durchsichtigen Sirups rennen, jede war dicker und leistete mehr Widerstand als die vorherige. Als ich mich umsah, stellte ich fest, dass die meisten unserer Verbündeten so gut wie geschlagen waren. Einige konnte ich aufgrund der Verzerrung durch das Chaos nicht einmal sehen.
Vor uns schimmerte ein helles Licht, aber es sah aus, als wären mehrere Meter Wasser zwischen ihm und uns.
»Wir müssen zu Re«, sagte ich zu Sadie. »Konzentriere dich auf ihn.«
Was ich in Wirklichkeit dachte, war: Ich muss Zia retten. Aber das wusste Sadie sicher auch, ohne dass ich es weiter ausführte.
Ich konnte Zias Stimme hören, die Feuerwellen gegen ihren Feind herbeirief. Sie konnte nicht weit weg sein – vielleicht zehn Meter in Sterblichenentfernung? Durch die Duat konnten es allerdings über tausend Kilometer sein.
»Wir sind gleich da!«, rief ich.
Ihr kommt zu spät, meine Kleinen, surrte Apophis’ Stimme in meinen Ohren. Re wird heute mein Frühstück sein.
Eine Schlangenwindung, groß wie ein U-Bahn-Waggon, knallte vor unseren Füßen in den Sand und hätte uns um Haaresbreite zermalmt. Die Schuppen pulsierten so vor Chaosenergie, dass ich mich am liebsten vorgebeugt und übergeben hätte. Ohne Horus’ Schutz wäre ich bestimmt schon durch die bloße Nähe verdampft. Ich schwenkte die Geißel. Drei Feuerlinien zogen sich durch die Schlangenhaut und ließen roten und grauen Nebel explodieren.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich Sadie.
Sie sah blass aus, aber sie nickte. Wir stapften weiter.
Rings um uns kämpften noch immer einige der mächtigsten Götter. Babi der Pavian ritt auf einer Version des Schlangenkopfes und drosch mit seinen kraftvollen Fäusten zwischen Apophis’ Augen, die Schlange schien davon allerdings nur leicht genervt. Die Jagdgöttin Neith versteckte sich hinter einem Haufen Steinblöcken und schoss aus dem Hinterhalt ihre Pfeile auf einen anderen Schlangenkopf ab. Mit den Palmwedeln auf dem Kopf war sie ziemlich leicht zu entdecken, außerdem brüllte sie die ganze Zeit irgendwas von einer Gummibärchen-Verschwörung. Ein Stück weiter bohrte ein weiteres Schlangenmaul seine Giftzähne in Nechbet, die Geiergöttin, die vor Schmerzen kreischte und als Haufen schwarzer Federn explodierte.
»Uns gehen die Götter aus!«, rief Sadie.
Schließlich erreichten wir die Mitte des Chaossturms. Wände aus rotem und grauem Rauch wirbelten um uns herum, doch als wir ins Zentrum traten, erstarb das Tosen, es war, als hätten wir das Auge eines Hurrikans betreten. Über uns war der wirkliche Kopf der Schlange – oder zumindest die Erscheinungsform, die den Großteil seiner Macht enthielt.
Woher ich das wusste? Die Haut sah fester aus und die rotgoldenen Schuppen glitzerten. Das Maul war eine rosa Höhle mit Giftzähnen. Die Augen glühten und ihr Kobranackenschild war so weit aufgespreizt, dass er ein Viertel des Himmels verdeckte.
Vor der Schlange stand Re, eine leuchtende Erscheinung, die so grell war, dass man sie nicht ansehen konnte. Aus dem Augenwinkel konnte ich in der Mitte des Lichts Zia erkennen. Sie trug nun die Kleider einer ägyptischen Prinzessin – ein weiß-goldenes Seidenkleid, goldenen Halsschmuck und Armbänder. Selbst ihr Zauberstab und ihr Zaubermesser waren vergoldet. Ihr Bild tanzte in dem heißen Dunst, so dass die Schlange jedes Mal, wenn sie zuschlug, Zias Standort falsch einschätzte.
Zia schoss Leuchtkugeln mit roten Flammen auf Apophis – sie blendeten ihn und verbrannten Teile seiner Haut –, doch die Verletzungen schienen beinahe augenblicklich zu heilen. Die Schlange wurde immer größer und stärker. Das konnte man von Zia nicht sagen. Wenn ich mich konzentrierte, spürte
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