Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
für mich, Carter.«
Ich versuchte ihn abzuschütteln. Meine Arme hatten sich in Blei verwandelt. Ich konnte kaum noch mein Schwert halten.
Rings um uns war das Kampfgeschrei verstummt. Über uns flog Freak, doch seine Flügel bewegten sich so träge, dass ich sie erkennen konnte. Eine Hieroglyphe explodierte in Zeitlupe, es sah aus, als würde sich Farbstoff in Wasser auflösen. Apophis zog mich tiefer in die Duat.
»Du bist durcheinander, das spüre ich«, sagte die Schlange. »Warum kämpfst du diesen hoffnungslosen Kampf? Ist dir nicht klar, was passieren wird?«
Bilder schossen mir durch den Kopf.
Ich sah eine Landschaft mit sich bewegenden Hügeln und glutroten Geysiren. Geflügelte Dämonen kreisten am schwefelgelben Himmel. Die Geister der Toten rannten über die Hügel, stießen verzweifelte Wehklagen aus und versuchten sich irgendwo festzuhalten. Sie wurden alle in dieselbe Richtung gezogen – zu einem dunklen Fleck am Horizont. Was immer es war, die Anziehungskraft war so stark wie die eines schwarzen Lochs. Es sog die Geister ein, bog die Hügel und Feuerwolken in seine Richtung. Selbst die Dämonen in der Luft hatten zu kämpfen.
An einen schützenden Felsvorsprung gekauert, versuchte die leuchtend weiße Gestalt einer Frau sich gegen den dunklen Sog zu stemmen. Ich hätte am liebsten geweint. Die Frau war meine Mutter. Andere Geister flogen hilflos klagend an ihr vorbei. Meine Mutter versuchte sie festzuhalten, doch sie konnte sie nicht retten.
Die Szenerie wandelte sich. Ich sah die ägyptische Wüste am Rande von Kairo in der glühenden Sonne. Plötzlich explodierte der Sand. Eine riesenhafte rote Schlange erhob sich aus der Unterwelt. Sie stürzte sich auf den Himmel und irgendwie, unvorstellbarerweise, verschluckte sie die Sonne mit einem einzigen Happs. Die Welt wurde dunkel. Frost legte sich über die Dünen. Im Boden erschienen Risse. Die Landschaft fiel in sich zusammen. Ganze Viertel von Kairo versanken in Abgründen. Ein rotes Meer aus Chaos ließ den Nil anschwellen und überschwemmte die Stadt und die Wüste, es spülte die Pyramiden fort, die Tausende von Jahren dort gestanden hatten. Nach kurzer Zeit gab es nur noch ein brodelndes Meer unter einem sternlosen schwarzen Himmel.
»Die Götter können dich nicht retten, Carter.« Apophis klang fast mitleidig. »Dein Schicksal steht seit Anbeginn aller Zeiten fest. Gib auf, dann werde ich dich und die, die du liebst, verschonen. Du wirst auf dem Meer des Chaos schwimmen. Du wirst dein Schicksal selbst bestimmen.«
Ich sah eine Insel auf dem tosenden Meer treiben – einen kleinen grünen Flecken Erde, der an eine Oase erinnerte. Meine Familie und ich könnten auf dieser Insel zusammen sein. Wir könnten überleben. Wir könnten alles haben, was wir wollten, indem wir es uns einfach vorstellten. Der Tod hätte keinerlei Bedeutung.
»Ich verlange dafür nur ein Zeichen des guten Willens«, drängte Apophis. »Übergib mir Re. Ich weiß, dass du ihn hasst. Er steht für alles, was in eurer Menschenwelt schiefläuft. Er ist tattrig geworden, abstoßend, schwach und nutzlos. Liefere ihn mir aus und ich werde dich verschonen. Denk darüber nach, Carter Kane. Haben die Götter dir ein vergleichbar gutes Angebot gemacht?«
Die Visionen verblassten. Horrorgesicht grinste mich an, doch plötzlich waren seine Züge schmerzverzerrt. Auf seiner Stirn brannte eine glutrote Hieroglyphe – das Symbol für Vertrockne –, dann zerfiel der Dämon zu Staub.
Ich schnappte nach Luft. Meine Kehle fühlte sich an, als würden glühende Kohlen darin stecken.
Thot stand über mir, er sah grimmig und müde aus. In seinen Augen wirbelten kaleidoskopische Farben, sie sahen aus wie Portale in eine andere Welt.
»Carter Kane.« Er streckte mir eine Hand entgegen und half mir auf.
Alle anderen Dämonen waren verschwunden. Walt stand mit den Pavianen und Ibissen auf der Pyramidenspitze. Sie turnten auf der goldenen Sphinxdame herum, als wäre sie ein Karussell. Freak schwebte in der Nähe, nach dem Verspeisen so vieler Dämonen wirkte er satt und zufrieden.
»Ihr hättet nicht herkommen sollen«, schalt Thot. Er wischte Dämonenstaub von seinem T-Shirt mit einem flammenden Herzenlogo und der Aufschrift HOUSE OF BLUES. »Es war viel zu gefährlich, vor allem für Walt.«
»Keine Ursache!«, krächzte ich. »Ich dachte, du könntest Hilfe brauchen.«
»Wegen der Dämonen?« Thot winkte herablassend. »Sie werden kurz vor Sonnenaufgang wiederkommen. Seit
Weitere Kostenlose Bücher