Die Kanonen von Navarone
Der unermüdliche Andrea hatte ihren Proviant sortiert und eine Art Mahlzeit zubereitet, aus getrockneten Feigen, Honig, Käse, Knoblauchwürsten und zerkleinerten Maronen. Mallory fand die Mischung schauderhaft, aber besser verstand Andrea dergleichen nicht, und er war so hungrig, geradezu gierig vor Hunger, daß er auf besondere Geschmacksfeinheiten verzichten konnte. Und als er das Essen mit einer Portion des von Louki und Panayis tags zuvor besorgten Inselweins hinuntergespült hatte, betäubte die harzige Süße des Getränks sowieso jedes andere Geschmacksempfinden.
Vorsichtig das Streichholz mit der Hand abschirmend, zündete er sich eine Zigarette an und begann zum erstenmal seinen Plan für das Eindringen in die Festung zu erklären. Er brauchte nicht seine Stimme zu dämpfen, denn im Nebenhaus, einem der wenigen an dieser Seite des Platzes noch bewohnten, klapperten zwei Webstühle den ganzen Abend. ›Wahrscheinlich hat das der schlaue Louki veranlaßt‹, dachte er, obgleich er nicht wußte, wann und wie der sich mit den Nachbarn verständigt haben sollte. Jedenfalls war er mit dieser Situation zufrieden und konzentrierte sich darauf, den Kameraden unmißverständlich klare Instruktionen zu geben.
Anscheinend begriffen sie alles gut, denn es wurden nur wenige Fragen gestellt. Ein paar Minuten unterhielten sie sich über andere Dinge, wobei der sonst so schweigsame Brown sich bitterlich über das Essen und Trinken, über sein verletztes Bein und die Härte der Bank beklagte, auf der er die ganze Nacht kein Auge schließen könne. Mallory lächelte ironisch, sagte aber nichts. Wenn Brown schimpfte, war das ein sicheres Zeichen, daß es ihm wieder besser ging.
»Ich denke, wir haben genug geredet, meine Herren.« Er glitt von der Bank und reckte sich. Oje, war er müde! »Unsere erste und letzte Gelegenheit, eine Nacht richtig zu schlafen. Gewacht wird abwechselnd alle zwei Stunden, ich übernehme die erste Wache.«
»Ganz allein?« Miller rief es leise von der anderen Seite des Raumes. »Sollen wir nicht lieber zu zweien wachen, Boß, einer vorn und einer an der Rückseite? Schließlich sind Sie ja auch ganz schön auf dem Hund. Einer allein könnte leicht einschlafen.«
»Kommt gar nicht in Betracht, Dusty. Jeder hält seine Wache hier an diesem Fensterloch, und sollte er einschlafen, wird er verdammt fix aufwachen, wenn er zu Boden stürzt. Und gerade weil wir alle so ausgepumpt sind, können wir nicht zulassen, daß einer unnötig Schlaf verliert. Zuerst also ich, dann Sie, dann Panayis, Casey, und zuletzt Andrea.«
»Ja-a, so wird's wohl am besten sein«, gab Miller zu.
Er drückte Mallory etwas Hartes, Kaltes in die Hand: seinen wertvollsten Besitz, die Pistole mit Schalldämpfer. »Damit Sie zudringliche Besucher durchlöchern können, ohne die ganze Stadt aufzuwecken.« Er schlenderte wieder zur anderen Wand, zündete sich eine Zigarette an, rauchte still ein paar Minuten, dann schwang er die Beine auf die Bank. Innerhalb von fünf Minuten schliefen sie alle fest, außer dem schweigenden Mann am Beobachtungsfenster.
Zwei bis drei Minuten später horchte Mallory, unbeweglich stehenbleibend, scharf auf: er hatte draußen schleichende Schritte gehört, wahrscheinlich von der Rückseite des Hauses. Das Klappern der Webstühle nebenan hatte aufgehört, es war sehr still. Wieder vernahm er das Geräusch, diesmal unmißverständlich: es klopfte jemand sacht an die Tür, am Ende des Korridors, der von der Rückseite des Raumes ausging.
»Bleiben Sie da, Hauptmann.« Es war Andreas leises Gemurmel, und zum hundertstenmal staunte Mallory über dessen Fähigkeit, sich beim kleinsten ungewohnten Geräusch aus dem tiefsten Schlaf zu reißen, während er im schwersten Gewitter ruhig weiterschlief. »Ich werde nachsehen, was dieses Klopfen bedeutet. Es muß Louki sein.«
Und es war Louki. Der kleine Mensch keuchte, ganz erschöpft, aber äußerst zufrieden mit sich selbst. Dankbar trank er von dem Wein, den Andrea ihm in einen Becher goß.
»Wie bin ich froh, daß Sie wieder da sind!« sagte Mallory aufrichtig. »Wie ging es denn? Hat Sie jemand verfolgt?«
Er glaubte sogar in der Dunkelheit zu bemerken, daß der Kleine sich zu seiner ganzen »Größe« aufrichtete.
»Als ob einer von den tapsigen Kerlen, selbst bei Mondschein, Louki entdecken könnte, geschweige denn ihn fassen!« sagte er entrüstet. Nach einigen tiefen Atemzügen fuhr er fort: »Nein, nein, Herr Major, ich wußte schon, daß Sie
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