Die Kanonen von Navarone
Schlinge stecken wäre unsinnig gewesen.
Miller zündete sich eine der beizenden, übelriechenden einheimischen Zigaretten an und rümpfte angewidert die Nase. »Stinkt verdammt komisch in diesem Laden, Boß«, sagte er.
»Dann machen Sie Ihre Zigarette aus«, schlug Mallory vor.
»Sie werden's nicht glauben, aber was ich rieche, ist noch viel schlimmer.«
»Haschisch«, sagte Mallory kurz. »Der Fluch in diesen Inselhäfen.« Er wies mit dem Kopf in eine der dunklen Ecken. »Die Dorfjünglinge da drüben werden, ihr ganzes Leben so zubringen wie jetzt. Mit Haschisch. Mehr verlangen die nicht vom Dasein.«
»Aber warum müssen sie so einen verdammten Spektakel dabei machen?« fragte Miller verdrießlich. »Diese Brüder müßte Toscanini mal hören.«
Mallory blickte nach der kleinen Gruppe. Ein junger Mann spielte da auf einer Bouzouko – einer Mandoline mit langem Hals –, während ein paar andere, die sich dicht um ihn drängten, die sehnsuchtsvoll wehleidigen Rembetikas sangen, die Lieder der Haschischraucher vom Piräus. Mochte diese Musik mit den melancholischen Melodien ihren eigenen Reiz haben, Lieder von Lotosblumen und Liebe – jetzt fiel sie Mallory auf die Nerven. Um sie zu würdigen, mußte der Mensch wohl in träumerischer Stimmung und sorgenfrei sein, und er hatte noch nie im Leben so schwere Sorgen gehabt wie jetzt.
»Ja, mir ist es auch zuviel«, gab er zu, »aber bei dem Lärm können wir uns wenigstens unterhalten, was kaum möglich wäre, wenn die jetzt einpackten und weggingen.«
»Von mir aus können sie sich zum Teufel scheren«, sagte Miller mürrisch, »dann will ich gern die Klappe halten.« Er stocherte widerwillig in dem Essen, das auf einem Teller vor ihm stand: eine Mischung von gehackten Oliven, Leber, Käse und Äpfeln. Als guter Amerikaner und langjähriger Whiskytrinker mißbilligte er sehr die griechische Sitte, beim Trinken jedesmal auch zu essen. Plötzlich blickte er hoch, zerdrückte seine Zigarette unter der Tischplatte und sagte: »Himmel Herrgott noch mal, Boß, wie lange denn nun noch?«
Mallory sah ihn kurz an, dann senkte er den Blick. Er wußte genau, wie es Dusty Miller zumute war, denn ihm ging es nicht anders, auch ihn quälte diese gepreßte Erregung, in der jeder Nerv bis zum Reißen gespannt ist. Von den nächsten paar Minuten hing ja soviel ab! Ob alle ihre Mühen und Leiden einen Sinn gehabt hatten; ob die Männer auf Kheros leben oder sterben würden, und, ob Andy Stevens umsonst gelebt hatte und gestorben war. Er betrachtete Miller wieder, die nervösen Hände, die tiefer gekerbten Falten an den Augen, den fest zusammengekniffenen Mund, der in den Winkeln weiß aussah – alles Zeichen der äußersten Spannung, die er gut zu beurteilen wußte. Andrea als einzigen ausgenommen, war ihm für diese Nacht kein Begleiter lieber als dieser hagere, oft mürrische Amerikaner. Vielleicht sogar lieber als Andrea. »Der beste Saboteur von Südeuropa« hatte Kapitän Jensen ihn in Alexandria genannt. Miller hatte von Alexandria einen weiten Weg zurücklegen müssen, nur für die eine Aufgabe, die jetzt vor ihm lag. Diese Nacht war Millers Nacht.
Mallory blickte auf die Uhr. »Zapfenstreich in 15 Minuten«, sagte er ruhig. »Der Ballon geht in zwölf Minuten hoch, und uns bleiben hier noch vier.«
Miller nickte schweigend. Er füllte sein Glas wieder aus dem Becher, der auf dem Tisch stand, und steckte sich eine neue Zigarette an. Mallory bemerkte, daß über seiner Schläfe ein Nerv zuckte und fragte sich ganz sachlich, wie viele zuckende Nerven wohl Miller bei ihm sehen mochte. Und wie mochte es Brown mit seiner Verletzung in dem Hause gehen, wo sie ihn eben verlassen hatten? In mancher Hinsicht hatte Brown jetzt die größte Verantwortung – er mußte in dem kritischen Moment, wenn er wieder auf den Balkon ging, die Haustür ohne Bewachung lassen. Wenn da der kleinste Fehler vorkam … Er fing einen sonderbaren Blick Millers auf und lächelte verzerrt. Es mußte klappen, mußte unbedingt gelingen! Beim Gedanken an das, was sonst unweigerlich passierte, überlief ihn ein Schauder. Nein, es war nicht gut, darüber nachzudenken, und schon gar nicht jetzt …
Ob die beiden andern auf ihren Posten noch unbehelligt waren? Müßten sie eigentlich, denn das Suchkommando war mit dem oberen Stadtteil schon längst fertig. Aber man konnte ja nicht wissen, was verkehrt ging. Vielerlei konnte mißglücken, aus dem kleinsten Anlaß …
Wieder schaute Mallory auf
Weitere Kostenlose Bücher