Die Kanonen von Navarone
schämte er sich, denn er wußte, daß er Hauptmann Mallory weder ganz verstehen noch beurteilen konnte.
»Bitte sehr um Entschuldigung, Sir«, sagte er, matt lächelnd. »Habe außer der Reihe geschwatzt, wie Unteroffizier Miller das nennen würde.« Er richtete den Blick nach der schnell aus Südosten aufkommenden Kajike. Und wieder spürte er die krankhafte Furcht, doch seine Stimme war ganz fest, als er hinzufügte: »Ich werde Sie nicht im Stich lassen, Sir.«
»Schon gut. Hätte ich von Ihnen auch nicht erwartet.« Jetzt lächelte Mallory, während er Miller und Brown ansah. »Machen Sie die Sachen klar und legen Sie alles bereit, ja? Ganz unauffällig, daß nichts davon zu merken ist. Die beobachten uns durchs Glas.«
Er drehte sich um und ging nach vorn, gefolgt von Andrea.
»Du warst sehr hart mit dem jungen Mann«, sagte Andrea. Es war weder Kritik noch Vorwurf, nur eine sachliche Feststellung.
»Ich weiß.« Mallory zuckte die Achseln. »Angenehm war mir das nicht … aber ich mußte so sein.«
»Ja, das mußtest du wohl«, sagte Andrea langsam. »Ja, ich glaube, es war nötig. Aber hart war's … Meinst du, daß die uns mit ihrer Kanone einen Warnschuß vor den Bug setzen?«
»Kann sein … die wären nicht zurückgekommen, um uns zu stellen, wenn sie nicht ziemlich genau wüßten, daß wir Verdächtiges vorhaben. Aber ein Warnschuß à la Captain Teach? Das tun sie eigentlich nicht.«
Andrea runzelte die Stirn. »Captain Teach?«
»Laß nur jetzt.« Mallory lächelte. »Zeit, daß wir uns in Position bringen. Nicht vergessen: auf mein Signal warten, das werdet ihr bestimmt nicht überhören«, schloß er trocken.
Die schäumende Bugwelle wurde zu einem sanften Gekräusel, das Klopfen des schweren Dieselmotors zum matten Gemurmel, als das deutsche Boot, knapp anderthalb Meter entfernt, längsseits herankam. Von seinem Sitzplatz auf einem Fischkasten an der Backbordseite des Vorschiffs, wo er emsig beschäftigt war, einen Knopf an den alten Mantel zu nähen, den er zwischen den Beinen liegen hatte, konnte Mallory sechs Mann zählen, alle in der Uniform der deutschen Kriegsmarine. Einer hockte vorn an einem schweren MG mit eingezogenem Patronengurt, das auf einem Dreifuß dicht bei der Zweizentimeter-Kanone stand, drei standen auf dem Mitteldeck, jeder mit einer Maschinenpistole – der Kommandant, ein junger Leutnant mit hartem, kaltem Gesicht, der das Eiserne Kreuz am Waffenrock trug, blickte aus der offenen Ruderhaustür, und vom sechsten sah er nur den Kopf, der neugierig über den Rand des Maschinenraumluks spähte. Nicht sehen konnte Mallory von seinem Platz aus das Achterdeck, denn ihr Luggersegel, das sich im unsteten Wind bauschte, versperrte ihm die Aussicht, doch die begrenzte seitliche Reichweite des vorderen MG, das ihr eigenes Boot nur zur Hälfte bestreichen konnte, ließ ihn nicht im Zweifel, daß auch auf dem Achterdeck des deutschen Schiffes ein MG-Schütze postiert war.
Der junge Leutnant mit dem harten Gesicht – ›Ein echtes Produkt der Hitlerjugend‹, dachte Mallory – beugte sich aus dem Ruderhaus, hielt eine Hand an den Mund und brüllte: »Segel fieren!«
Mallory wurde starr wie eine Statue. Die Nadel war ihm scharf in den Handballen gefahren, doch das merkte er gar nicht. Der Leutnant hatte den Befehl auf Englisch gegeben! Und Stevens war noch so jung, so unerfahren. ›Er wird darauf reinfallen‹, dachte Mallory besorgt, ›gerade der fällt darauf rein.‹
Doch Stevens ging nicht in diese Falle. Er öffnete die Tür, beugte sich heraus, legte eine Hand ans Ohr und blickte ohne Ausdruck, den Mund weit offen, zum Himmel empor. So vollkommen imitierte er einen Halbblöden, der diesen lauten Befehl nicht verstand, daß Mallory ihn am liebsten umarmt hätte. Nicht allein in seinem Benehmen, auch durch das dunkle schäbige Zeug und sein schwarzes Haar, das ebenso gefärbt war wie Millers, bot Stevens jetzt das echte Bild eines mißtrauischen Inselfischers.
»He?« bölkte er.
»Segel fieren! Wir kommen an Bord!« Wieder auf englisch, vermerkte Mallory. Ein hartnäckiger Bursche –.
Stevens glotzte den Deutschen wieder stumpfsinnig an und schaute sich ratlos nach Andrea und Mallory um. Auch ihre Gesichter drückten ebenso überzeugend Verständnislosigkeit aus. Wie verzweifelt zuckte Stevens die Achseln und rief: »Leider verstehe ich kein Deutsch. Können Sie nicht in meiner Sprache reden?« Sein Griechisch war einwandfrei und flüssig. Allerdings war es
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